Nov ‍‍2023 - תשפג / תשפד

WO SIND WIR AM SICHERSTEN UND WO KÖNNEN WIR UNSERE IDENTITÄT OHNE ANGST LEBEN?

In Israel sind wir wie ein Fisch im Wasser

In der Parscha Toledot wird unser dritter Erzvater Ja’akow geboren. Das jüdische Volk entstand als Nation erst durch Ja’akow und seinen 12 Söhnen, den Stammesvätern. Dem jüdischen Volk wurde eine sehr starke Identität mitgegeben, die gerade in dieser Zeit des Krieges von entscheidender Bedeutung ist.

Nach dem schicksalhaften 7. Oktober fragen sich viele Israelis und Juden in aller Welt, wo sie am sichersten sind, in oder außerhalb Israels? Viele Menschen sind gerade aus Solidarität mit dem jüdischen Staat nach Israel geflogen, aber viele haben Israel auch verlassen. Ich habe gerade mit einem Offizier gesprochen, der von London aus an die Nordfront gefahren ist. Das Gespräch dauerte erst 50 Sekunden, und schon hörte ich zweimal laute und schwere Knallgeräusche.

Lücken in der israelischen Gesellschaft

Ich habe aber auch mit Menschen gesprochen, die das ständige Bombardement aus dem Gazastreifen nicht mehr ertragen konnten und in Deutschland gereist sind, um sich ein wenig von den anhaltenden Spannungen zu erholen. Andere konnten die Bedrohung der jüdischen Existenz in Israel nicht ertragen und verließen ihre Komfortzone in Europa und Amerika, um in Israel zu helfen und die durch die massive Mobilisierung entstandenen „Lücken“ in der Gesellschaft zu füllen und zu helfen, wo sie konnten. Glücklicherweise sind wir nicht allein, und viele Menschen kommen, um zu helfen.

Wo können unsere Kinder in Zukunft studieren?

Eine zweite Frage, die viele Eltern jüdischer Jugendlicher besonders beschäftigt, ist die Frage, wo ihre Kinder studieren sollen. Da der Antisemitismus an vielen Universitäten weltweit immer unerträglicher wird, denken viele Eltern darüber nach, ihren Kindern gutes Iwrit beizubringen, damit sie in Israel studieren können. Zwar gibt es auch viele Menschen, die an israelischen Universitäten studieren, denen Israel nicht am Herzen liegt – um es höflich auszudrücken -, aber zumindest dürfen sie sich dort gehört und geschützt fühlen.

Weltweites Versteckspiel?

Die Israelische Regierung hat nun alle Juden weltweit außerhalb Israels gewarnt, ihre jüdische Identität völlig zu verbergen und an öffentlichen Orten kein Iwrit zu sprechen. Der Beamte, der für die Übermittlung dieser Nachricht an die Medien zuständig ist, ließ verlauten, dass auch er darüber erstaunt sei.

Das Aufhängen der israelischen Flagge provoziert indessen eine Menge Antisemitismus. Jüdische Studenten am Massachusetts Institute of Technology (MIT) schrieben einen Brief an ihre Universitätspräsidentin Sally Kornbluth. Sie warnten, dass jüdisches Leben auf dem Campus unmöglich geworden sei. Das erinnert an den Vorabend des Holocausts.

Verraten im Versteck, aber glücklich, ihre eigene Identität zu leben

In solchen Situationen denke ich immer an eine beiläufige Bemerkung meiner Mutter, Bloeme Evers-Emden, als sie 1944 in ihrem15. Versteck erneut verraten und von der SS abgeführt wurde. Im Versteck musste sie natürlich eine nichtjüdische Identität annehmen. Sie ließ durchblicken, dass sie nach ihrer Verhaftung durch die Nazis dennoch eine Befreiung empfand, sich endlich wieder als Jüdin bezeichnen zu können und nicht mehr mit der Außenwelt Versteck spielen zu müssen. Die starke jüdische Identität lässt sich kaum verbergen und das Gefühl, nicht sie selbst sein zu dürfen, ist unerträglich.

Kippa oder eine Mütze?

Das ist kein neues Thema. Als ich noch Rabbiner in den Niederlanden war, mussten wir auch entscheiden, wie unsere Kinder auf die Straße gehen sollten. Mit Kippa oder mit einer Mütze, so dass ihre jüdische Identität nicht sofort erkennbar ist? Die Sicherheit stand natürlich an erster Stelle.

Rabbi Akiwa und die Römer

Es gibt eine alte Tradition aus dem ersten Jahrhundert, als die Römer Israel mit eiserner Faust regierten. Unter Androhung der Todesstrafe war es nicht erlaubt, die Tora zu studieren. Rabbi Akiwa ließ sich nicht abschrecken und widersetzte sich dem römischen Verbot. Ein assimilierter Jude, Pappus ben Jehuda, fragte ihn, warum er sich weigere, der Forderung der Römer, das Judentum aufzugeben, nachzugeben: „Wie viel besser würde unser Leben nicht sein, wenn wir den Römern entgegenkämen und unsere Identität aufgäben.“ Rabbi Akiwa antwortete ihm mit einem Gleichnis: „Einst ging ein Fuchs an einem Bach entlang und sah die Fische, die in Panik hin und her schwammen, um den Netzen der Fischer zu entkommen. Der Fuchs schlug den Fischen vor, an Land zu gehen, wo sie von den Fischern nicht belästigt würden. Die Fische reagierten verblüfft: „Bist du jetzt der Klügste unter den Tieren? Wenn wir uns schon in unserem Lebenselement, dem Wasser, nicht sicher fühlen, wie viel mehr werden wir umkommen, wenn wir auf das trockene Land fliehen.“

Wie ein Fisch im Wasser

Wir können nicht vor unserer eigenen Identität fliehen. Nur in Israel können wir wirklich jüdisch sein und bleiben. Das bestätigen auch die meisten Menschen in meinem Umfeld. Ich erwarte in den kommenden Jahren eine große Alija.