Dez ‍‍2023 - תשפג / תשפד

Warum ist Rachels Grab so besonders?

In dieser Parscha lesen wir über Rachels Grab (Bereschit/Gen 35,16-20): „Sie brachen von Bethel auf. Als sie nur noch eine kurze Strecke bis nach Efrat zurückzulegen hatten, gebar Rachel, und es fiel ihr schwer, zu gebären. Und es geschah, als sie so schwer gebären musste, dass die Hebamme zu ihr sagte: Fürchte dich nicht, denn auch dieses Mal hast du einen Sohn! Und es geschah, als ihre Seele den Körper verließ, denn sie starb, da gab sie ihm den Namen Ben-oni, Sohn meines Schmerzes. Sein Vater aber gab ihm den Namen Benjamin (Sohn der rechten Hand). So starb Rachel, und man begrub sie an der Straße nach Efrat, dem heutigen Beet lechem (Bethlehem). Ja’akow errichtete dann ein Denkmal über ihrem Grab. Dieses Denkmal auf Rachels Grab steht noch heute dort“. Jeder geht heute zum Beten zu Rachels Grab. Die Frage ist nur, wie es dazu kam.

DIE GANZE GESCHICHTE VON RACHELS GRAB

Rachel war eine große Tsadekes und konnte sehr leicht aufgeben

Jedes Jahr werden wir mit einer bemerkenswerten Episode in Bereschit/Genesis konfrontiert. Es sieht nach einer großen Rivalität zwischen den beiden Schwestern, den Erzmüttern Lea und Rachel, aus. Beide waren mit dem Erzvater Ja’akow verheiratet. Rachel war Ja’akows Lieblingsfrau, die er ursprünglich heiraten wollte (Gen 29,16-17): „Lawan aber hatte zwei Töchter: die Älteste hieß Lea, die Jüngste Rachel. Lea hatte blasse Augen, Rachel aber war schön von Gestalt und stattlich anzusehen“.

Geistige Schönheit

Wir sollten dieses „schön von Gestalt und stattlich anzusehen“ nicht zu wörtlich nehmen, denn Ja’akow war 84 Jahre alt, als er heiratete, und wenn es ihm nur um das Aussehen gegangen wäre, hätte er schon viel früher geheiratet. Rachel war in spiritueller Hinsicht erstklassig! Lea war etwas weniger spirituell. Ihre blassen Augen waren das Ergebnis von falschen Gerüchten. Alle dachten, Rachel würde Ja’akow heiraten und Lea Esau. Nun war Esau kein besonders frommer und religiöser Mann. Lea weinte Tränen und betete intensiv, um Esau nicht zu heiraten.

Lawans Täuschung

Am Ende wurden Leas Gebete erhört. Lawan führte G’ttes Pläne aus. Lawan ließ Lea am Hochzeitstag von Ja’akow und Rachel schminken und trug sie verschleiert unter den Hochzeitsbaldachin, die Chuppa. Alle Stadtbewohner Lawans waren in diesen Betrug verwickelt. Aber um nicht ganz so böse zu sein, sangen sie bei der Hochzeit die ganze Zeit „Olea Olea Olea“. Damit gaben Ja’akow einen Hinweis, dass er mit Lea betrogen wurde. Ja’akow war so heilig, dass er in der Hochzeitsnacht nicht merkte, dass er mit Lea und nicht mit Rachel schlief.

Die Passwörter

Ja’akow und Rachel waren sich eines Tricks von Lawan bewusst. Sie hatten sich auf Passwörter geeinigt, für den Fall, dass Lawan sie überlistet. Aber im entscheidenden Moment hatte Rachel solche Angst, Lea in Verlegenheit zu bringen, dass sie ihr die Passwörter gab. Rachel war also eine tsadekes, ein unglaublich heiliger Mensch. Sie besaß ein hohes Maß an Selbstaufopferung für andere. Mit diesem Hintergrund lesen wir in der Tora weiter über eine undankbare Lea, die gegen Rachel zu wüten scheint.

Die Episode mit den Liebesäpfeln

Lies Bereschit/Gen 30,14-15: „In den Tagen der Weizenernte ging Ruben hinaus und fand Liebesäpfel auf dem Feld, die er seiner Mutter Lea brachte. Da sagte Rachel zu Lea: Gib mir doch etwas von den Liebesäpfeln deines Sohnes. Sie aber sprach zu ihr: Reicht es nicht, dass du mir meinen Mann genommen hast? Musst du auch die Liebesäpfel meines Sohnes nehmen? Da sagte Rachel: Damit er heute Nacht mit dir schläft, im Austausch für die Liebesäpfel deines Sohnes. Als Ja’akow am Abend vom Feld kam, ging Lea ihm entgegen und sagte: Du musst zu mir kommen, denn ich habe dich ehrlich für die Liebesäpfel meines Sohnes angeheuert. Deshalb schlief er in dieser Nacht mit ihr.

Rachel konnte sehr leicht aufgeben

Wie konnte Lea es wagen, so etwas zu sagen? Hatte sie vergessen, dass Rachel ihren Mann in ihrer eigenen ersten Hochzeitsnacht aufgegeben hatte? Lea fühlte sich Rachels spirituell unterlegen. Natürlich ärgerte es sie, dass Ja’akow dachte, Rachel sei spirituell überlegen. Aber ihre Worte sind vor dem Hintergrund der Vorgeschichte völlig ungerechtfertigt. Aber Rachel reagierte nicht wütend.

Das ist auch der Grund für Leas geringe Dankbarkeit

Wahrscheinlich hatte Rachel so viel Vertrauen zu G’tt, dass ihr der Verzicht auf Ja’akow wenig Mühe bereitete. Sie wusste, dass G’tt ihre altruistische Tat belohnen würde und dass sie ihren Mann zurückbekommen würde. Weil Rachel es nicht wirklich als Opfer empfand, war Lea auch kaum dankbar. Deshalb sagt Rachel auch nicht viel zu ihrer unglücklichen Schwester. Sie schlägt sogar vor, Ja’akows Beischlaf – in dieser Nacht war Rachel an der Reihe – gegen Leas Liebesäpfel zu tauschen.

Darum wurde Rachel nicht in der Machpela neben Ja’akow begraben

Wenn man wirklich glaubt, kann man auch leicht verschenken. Aber wenn es zu leicht wird, kann es so aussehen, als wären einem Beziehungen völlig egal. Rachel wird auch vorgeworfen, dass sie Ja’akows Beischlaf einfach gegen diese Liebesäpfel eingetauscht hat. Aber Rachel war verzweifelt. Sie hoffte, dass sie dadurch eine größere Chance auf eine Schwangerschaft hätte. Und tatsächlich, etwas später in der Tora bekam sie ihr erstes Kind, Josef. Dennoch erzählt die jüdische Tradition, dass Rachel wegen ihrer Geringschätzung von Ja’akows Beischlaf am Ende nicht neben Ja’akow in der Höhle Machpela begraben wurde. Adam und Chawa (Eva), Awraham und Sara, Jitzchak und Riwka und Ja’akow und Lea sind dort begraben. Rachel hat ihr eigenes Grab in der Nähe von Beet lechem (Bethlehem). 

Was waren diese Liebesäpfel?

Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen: Die einen sagen, es waren Veilchen, die anderen, es war Jasmin. Eine dritte Meinung besagt, dass es sich um Mandragora oder Alraunen handelt.

Wahrer Wallfahrtsort

In der Tat existiert das Grab von Rachel bis zum heutigen Tag. Die Geschichte dieses Grabes ist äußerst bunt, aber zumindest können wir heute wieder dorthin gehen, um zu beten und Tehillim (Psalmen) zu sprechen. Und das so intensiv, dass ganze Busladungen voller jüdischer Pilger abgesagt werden müssen, weil das Interesse viel zu groß ist. Die Chassidische Bevölkerung ist dort besonders stark vertreten. Es ist ein echter Wallfahrtsort geworden, an dem jeden Tag Tausende von Menschen ihr Herz ausschütten.

Rachel war Ja’akows Lieblingsfrau

Lea bekam sechs Kinder von Ja’akow. Die beiden Nebenfrauen Bilha und Zilpa hatten jeweils zwei Kinder und auch Rachel hatte nur zwei Kinder. Ob das „gerecht“ war, können wir als Menschen nicht beurteilen. Rachel war Ja’akows Lieblingsfrau. Mit unserem begrenzten menschlichen Verstand könnten wir denken, dass sie eigentlich mehr verdient hätte.

Rachel war zunächst unfruchtbar und verzweifelt (Gen 30,1-3): „Als Rachel bemerkte, dass sie Ja’akow kein Kinder gebar, wurde sie eifersüchtig auf ihre Schwester und sagte zu Ja’akow: ‚Schenk mir Kinder, wenn nicht, will ich sterben.‘ Da geriet Ja’akow in Zorn und sagte: Bin ich etwa an die Stelle von G’tt getreten, der dir die Frucht deines Leibes vorenthalten hat? Daraufhin sagte sie: „Siehe, hier ist meine Sklavin Bilha; komm zu ihr, damit sie auf meinen Knien gebiert und auch ich Nachkommen von ihr habe.“ Ja’akows wird übrigens vorgeworfen, seiner verzweifelten Lieblingsfrau gegenüber nicht sehr einfühlsam zu sein. Aber hier geht es um eine ganz andere Frage, die einer weiteren Erklärung bedarf.

Wie konnte Ja’akow zwei Schwestern heiraten?

Rabbi Avraham Schemu’el Benjamin Sofer (1815-1871) erklärt: Obwohl die Erzväter und –mütter sich an die gesamte Tora hielten, bevor sie gegeben wurde, hielten sie sie nicht auf die gleiche Weise daran, wie wir heute.

Die Tora wurde vor 3336 Jahren auf dem Berg Sinai gegeben. Nachdem die Tora gegeben wurde, dürfen wir ihre Gebote nicht mehr übertreten, auch wenn wir die größten Absichten haben, dies zu tun.

Die Tora verbietet es, zwei Schwestern zu ehelichen, um Streit und Neid zu vermeiden

Bevor die Tora vor 3336 Jahren auf dem Berg Sinai gegeben wurde, hatten die Erzväter und -mütter jedoch bereits die Fähigkeit, die Tora mit prophetischer Vision zu kennen und zu erfüllen. Aber damals war die Tora für sie noch nicht so streng bindend wie für uns heute.

Die Heirat zweier Schwestern ist laut Nachmanides nicht wirklich eine ‚erva‘, eine inzestuöse Beziehung. Der Beweis dafür ist, dass, wenn eine der Schwestern stirbt, ihr Mann die andere Schwester heiraten darf. Diese Ausnahmeregelung gilt nur für das Verbot, zwei Schwestern zu heiraten, nicht aber für andere inzestuöse Beziehungen.

Der Grund, warum die Tora die gleichzeitige Heirat mit zwei Schwestern verbietet, ist, dass die Tora Eifersucht und „Machlokes“ verhindern will.

Verhinderung von Rivalität zwischen Geschwistern

Ja’akow war in der Klemme, nachdem Lawan ihn unter der Chuppa (Heirat) betrogen hatte. Er hatte Rachel versprochen, sie zu heiraten. Er war – ungewollt – mit Lea verheiratet. Er wollte sich nicht von Lea scheiden lassen und musste Rachel heiraten, denn ‚Versprechen macht Schulden‘ und er musste sein Wort an Rachel halten. Ja’akow wusste, dass Rachel eine so große heilige Persönlichkeit (tzadekes) war, dass sie sich nicht mit ihrer Schwester streiten würde. Daher brauchte er sich keine Gedanken über das Verbot zu machen, zwei Schwestern zu heiraten. Ja’akow war überzeugt, dass das Verbot, Leas Schwester Rachel zu heiraten, in diesem Fall nicht galt.

Woher wusste Ja’akow, dass Rachel eine solche tsadekes war?

Aber wie wurde es klar, dass Rachel eine so heilige Frau, eine so große tzadekes war? Vielleicht liefen die Dinge zwischen Rachel und Lea irgendwann schief? Die Tatsache, dass Rachel so rechtschaffen war, dass sie ihrer Schwester den Geheimcode für die erste Hochzeitsnacht gab, überzeugte Ja’akow davon, dass es keine Rivalität zwischen den Schwestern geben würde.

Ist zwischen Rachel und Lea etwas schiefgelaufen?

Es schien eine kurze Zeit schief zu gehen, als Rachel lange Zeit unfruchtbar zu sein schien. Die Tora erklärt, dass Rachel tatsächlich eifersüchtig wurde, aber sie hat es Lea gegenüber nie zum Ausdruck gebracht. Selbst als sie nach den Liebesäpfeln fragte, reagierte Rachel nicht auf Leas ungerechte Worte.

Wenn Rachel wütend geworden wäre, hätte Ja’akow sagen können, dass Rachel – als zweite Frau in Ja’akows Ehe – tatsächlich eine inzestuöse Beziehung (erva) war und dass das Verbot der Tora, zwei Schwestern zu heiraten, auch für sie galt, was im Nachhinein beweist, dass diese Ehe mit zwei Schwestern im Streit endete. Das hätte bedeuten können, dass Rachels Kinder ‚Mamzerim‘ gewesen wären.

Rachels Rechtschaffenheit war keine Momentaufnahme

Rachel bekam schließlich doch Kinder, nachdem Lea die schwer erträgliche Aussage gemacht hatte, dass „du mir meinen Mann gestohlen hast“. Rachel reagierte nicht darauf. Ihre bedingungslose und selbstlose Liebe zu Lea war die Essenz ihrer Persönlichkeit. Es handelte sich nicht um eine einmalige Welle des Mitleids bei der Heirat, sondern um eine konstante und stabile schwesterliche Liebe.

Jetzt konnte Rachel Kinder bekommen

Nun war der Weg frei, Kinder zu bekommen, die sich als große Tsadikim erweisen würden. Eine bekannte Frage ist, warum mussten unsere Erzmütter so lange für Kinder beten? Die Antwort ist, dass sie dadurch die Möglichkeit hatten, sehr große Neschommes (Seele) in die Welt zu setzen. In der Tat waren Josef und Benjamin von großem und starkem religiösem Kaliber.

Rachel betet ständig für ihre Kinder

Dass Rachel gerade an der Grenze Israels begraben wurde, wurde von G’tt so inszeniert. Als zur Zeit des Babylonischen Herrschers Nebukadnezar – vor 2609 Jahren – der erste Tempel zerstört und die jüdische Bevölkerung aus Israel weggeführt wurde, kamen die Juden an Rachels Grab vorbei und weinten aus tiefstem Herzen über die Demütigungen und das Exil (Jeremia 31,15): „So spricht G’tt: (…) ein sehr bitteres Weinen: Rachel weint über ihre Kinder. Sie weigert sich, sich über ihre Kinder trösten zu lassen, denn sie sind nicht mehr“. Rachel betet ständig für ihre Kinder.

Rachel ist die Mutter von allen geworden

Rachels Kinder wurden alle Juden, und sie wurde schließlich die Mutter des ganzen jüdischen Volkes. Erzmutter Rachel ist mehr als jede andere zum Symbol der Mutter geworden, die sich nicht über alle Juden hinwegtrösten lässt und unablässig für sie zu davvenen (betet), ganz gleich, wie verloren sie scheinen. Das ist in unserer Zeit wieder überdeutlich geworden. Noblesse oblige. Ehre, wem Ehre gebührt.