Aug ‍‍2023 - תשפג / תשפד

NIE WIEDER AUSCHWITZ

In der aktuellen Parascha lesen wir von Krieg und Frieden. Der Holocaust war das grausamste aller Verbrechen in der Geschichte der Menschheit und wir müssen immer noch mit den Nachwirkungen dieser Weltkatastrophe leben.

Die Berthelsmann-Stiftung hat aktuell eine Studie über die Beziehung der Länder Deutschland und Israel veröffentlicht. Lediglich 35% der befragten Deutschen sehen aus der Vergangenheit eine besondere Verantwortung des deutschen Staates gegenüber Israel und 49% der befragten Deutschen fordern einen Schlussstrich unter die Vergangenheit zu ziehen.

Wie kann das sein, wo doch in derselben Studie 52% der befragten Deutschen angeben, dass der Antisemitismus in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat?

Wie wird heutzutage auf den Holocaust geschaut und all die schrecklichen Dinge, die damit zusammenhängen?

Generell zeigt sich, dass der Terminus Holocaust, die Worte Nazi, Faschist und Konzentrationslager nach und nach Teil unseres alltäglichen Sprachgebrauchs geworden sind, um Personen und Situationen zu beschreiben, die wir als verwerflich und unserem Rechtsempfinden zuwider ansehen. Es fehlt das Feingefühl für  den Umgang mit diesen Begriffen.

Wer die nationalsozialistische Verfolgung am eigenen Leib erlebt hat, empfindet diese Ausdrücke für relativ milde Formen von Unrecht und Unterdrückung als schamlos und als Entweihung der extremen Bedrohung und Massenvernichtung während des Zweiten Weltkriegs.

Sie grenzt an ein Verbrechen, weil sie den extremen Erfahrungen einer der dunkelsten Perioden der Menschheitsgeschichte Unrecht tut und oft nur dazu dient, sich dem eigenen moralischen Recht zu versichern. Diese Ausdrucksweise ist das Gegenteil von dem, was der Zweite Weltkrieg die Menschheit hätte lehren sollen.

Der Terminus ,,Naziterrorismus“, der Ende 1988 mit einem Vorschlag für Dopingkontrollen bei Spitzensportlern in Verbindung gebracht wurde, stieß bei vielen auf Ablehnung, weil er eine grobe Unsensibilität gegenüber den Opfern des realen Naziterrors zeigte, die durch diesen für ihr Leben gezeichnet sind.

Diese Rhetorik ist Teil einer langen Liste von Beispielen, die Prof. Dr. I. Abram, Experte für Holocaust-Erziehung, in seiner Antrittsrede ,,Rassenwahn und Rassenhass“[1] aufzählte, um deutlich zu machen, dass die Schrecken des Holocaust zwar allmählich die breiten Bevölkerungsschichten erreicht und durchdrungen haben, aber das Verständnis für die Ursachen, die Tiefe und die Folgen der völligen Entmenschlichung, die den Naziterror aufrechterhielt, immer noch gering ist.

In den letzten Jahren ist das Interesse an der Aufklärung über den Holocaust gestiegen. Immer mehr Schulen öffnen ihre Türen für Zeitzeugen, Überlebende aus den Lagern und Widerstandskämpfer, die ihre Geschichte erzählen. Welchen pädagogischen Effekt hat diese Konfrontation mit den Schrecken und dem Heldentum einer fernen Vergangenheit? Prof. Abram stellt fest, dass keine allgemeinen Lehren aus dem Holocaust gezogen werden können, außer der einen: Nie wieder Auschwitz. Dies ist das finale pädagogische Ziel.

Er zeigt eine Vielzahl von Reaktionen auf die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs auf: Sie können zu einem vertieften Bewusstsein von G’ttes Gegenwart führen, bei anderen aber auch zu einem völligen Verlust des Glaubens. Viele kämen zu dem Schluss, dass offenbar nur das Recht des Stärkeren die Welt regiert, während einige wenige die Stärke der Demokratien präsentierten, die am Ende des Krieges triumphierten. Primo Levi schrieb eine italienische Schulausgabe über seine Lagererfahrungen in I.G. Farben Monowitz, weil er der Meinung war, dass ,,der Schoß, aus dem der Faschismus kroch, noch immer fruchtbar ist“. Levi glaubte, er könne das Blatt wenden.

Die Frage ist, ob die derzeitigen Lehrmethoden und Erzählstrategien die gewünschte Wirkung erzielen oder ob eventuell genau das Gegenteil erreicht wird. Ich schätze den Einsatz der Lehrkräfte für Aufklärung und ein gemeinsames Miteinander sehr, aber denke, dass es neben der Aufklärung noch andere Grundpfeiler braucht um das formulierte Ziel ,,Nie wieder Auschwitz“ zu erreichen. Denn grausame Details und Berichte über Verfolgung alleine, lassen Raum dafür, dass den Opfern Schuld zugeschrieben wird, Raum den es absolut nicht geben sollte.

Das Manko der Holocausterziehung und vielleicht auch generell der schulischen Bildung ist, dass zwar viel Wert auf die Wissensvermittlung gelegt wird, aber für die Persönlichkeitsentwicklung und Charakterbildung wenig Impulse gegeben werden und dieser oft weniger Aufmerksamkeit gewidmet wird. Guten Noten wird ein höherer Stellenwert zugeschrieben als der Solidarität.

Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass ein Umdenken bei den Jugendlichen nur dann möglich ist, wenn durch das gute Beispiel von Lehrkräften und Eltern die Jugendlichen permanent dazu angeregt werden ihre eigenen Ansichten und versteckten Vorurteile regelmäßig kritisch zu hinterfragen und zu revidieren.

Denn der Holocaust hat uns vor allem gezeigt: Faschismus und Rassenwahn lauern in jedem von uns und es kann passieren, dass die Mehrheit einer Bevölkerung offenbar nicht mehr in der Lage ist ihre eigenen Motive zu reflektieren und ihre Unzulänglichkeiten zu bewältigen.

Es ist eine Sache über Lebensphilosophie und Menschenrechte theoretisch zu sprechen, aber fruchtbar wird dies erst wenn die Gesellschaft, die Schulen, die Eltern und letztlich die Kinder es wagen, ihre Selbstgefälligkeit und Passivität in eine grundsätzliche Bereitschaft umzuwandeln, ihr eigenes Leben, die Voraussetzungen und Ziele ihrer eigenen Existenz ständig und gründlich zu hinterfragen.

In unserer hektischen und oberflächlichen Kultur erfordert ,,Nie wieder Auschwitz“ mehr als antirassistische Friedenserziehung.

Denn Auschwitz hat unsere westliche Kultur in ihren Grundpfeilern erschüttert; ein ,,Nie wieder Auschwitz“ ist nur möglich, wenn die Pfeiler unserer Gesellschaft durch permanente Bildung und auch Charakterausbildung auf den Prüfstand gestellt werden. Der Finger, der auf andere gerichtet ist, muss auf uns selbst gerichtet sein, wenn wir unserer Jugend wirklich etwas sagen wollen.


[1] Abram, I.B.H., Rassewaan en rassehaat, Uitgeverij Boekencentrum B.V., ’s Gravenhage, 1990. ISBN 90-239-0004-9.