Jun ‍‍2023 - תשפג / תשפד

Hierarchie und Politik: eine unendliche Geschichte

  Es war ein klassischer Machtkampf. Das Einzige, was ihn von den üblichen Dramen an Königshöfen, in Plenarsälen oder Vorstandsetagen unterschied, war, dass er im Burgers’ Zoo im niederländischen Arnheim stattfand und dass die Protagonisten männliche Schimpansen waren.

Frans de Waals Studie Chimpanzee Politics[1] ist zu Recht ein Klassiker geworden. Darin beschreibt er, wie das Alphamännchen Yeroen nach einiger Zeit der Dominanz zunehmend von einem jungen Anwärter, Luit, herausgefordert wird. Luit konnte Yeroen nicht allein absetzen, also verbündete er sich mit Nikkie, einem anderen jungen Anwärter. Schließlich setzte sich Luit durch, und Yeroen wurde abgesetzt.

Luit erfüllte seine Aufgabe gut. Er verstand es, den Frieden in der Gruppe zu wahren. Er setzte sich für die Schwächeren ein und wurde dafür weithin geachtet. Die Weibchen erkannten seine Führungsqualitäten und waren immer bereit, sich um ihn zu kümmern und ihn mit ihren Jungen spielen zu lassen. Yeroen hatte nichts dadurch zu gewinnen, wenn er sich ihm widersetzen würde. Er war schon zu alt, um noch einmal Alphamännchen zu werden. Trotzdem beschloss Yeroen, sich mit dem jungen Nikkie zusammenzutun. Eines Nachts überrumpelten sie Luit und töteten ihn. Das abgesetzte Alphamännchen hatte sich gerächt.

Als ich dies las, musste ich an die Geschichte von Hillel in Pirkej Awot (Sprüche der Väter 2:6) denken: „Er sah einen Schädel auf dem Wasser treiben und sagte: Weil du andere ertränkt hast, wurdest du ertränkt; und jene, die dich ertränkt haben, werden selbst auch ertränkt werden.“

Tatsächlich waren die Machtkämpfe unter den Schimpansen so menschenähnlich, dass de Waals Werk 1995 zu den 25 Büchern gehörte, die Newt Gingrich, der damalige republikanischer Sprecher des amerikanischen Repräsentantenhauses, jungen Republikanern im Kongress zur Lektüre empfahl.[2]

Korach hätte ein Absolvent der machiavellistischen Schule der Politik sein können. Ihm waren die drei Spielregeln wohl bekannt. Erstens: Sei ein Populist. Nutze die Unzufriedenheit der Menschen aus und erwecke den Eindruck, dass du auf ihrer Seite gegen den aktuellen Herrscher stehst. „Ihr seid zu weit gegangen“, sagte er zu Moses und Aaron. „Die ganze Gemeinde ist heilig, jeder einzelne von ihnen, und Gott ist mit ihnen. Warum stellt ihr euch dann über die Gemeinschaft des Ewigen?“ (Num. 16:3).

Zweitens: Suche dir Verbündete. Korach gehörte selbst dem Stamm der Leviten an. Er beschwerte sich darüber, dass Moses seinen Bruder Aaron zum Hohepriester ernannt hatte. Offensichtlich war er der Meinung, dass ihm als Vetter von Moses – er war der Sohn von Jizhar, dem Bruder von Moses’ und Aarons Vater Amram – das Amt hätte zufallen müssen. Er hielt es für ungerecht, dass beide Führungsrollen an eine einzige Familie innerhalb des Clans gingen.

Korach konnte kaum mit viel Unterstützung aus seinem eigenen Stamm rechnen. Die anderen Leviten hatten mit einer Absetzung Aarons nichts zu gewinnen. Stattdessen fand er Verbündete unter zwei anderen unzufriedenen Gruppen: den Rubenitern, Datan und Awiram, und „250 Israeliten von Rang in der Gemeinde, Vertreter in der Versammlung und berühmt“ (Num. 16:2). Die Rubeniter waren gekränkt, dass sie als Nachkommen des Erstgeborenen Jakobs keine besondere Führungsrolle innehatten. Nach Ibn Esra waren die 250 „Männer von Rang“ darüber verärgert, dass nach der Sünde des Goldenen Kalbes die Führungsrolle von den Erstgeborenen jedes Stammes auf den einzigen Stamm Levi übertragen worden war.

Der Aufstand war letztlich zum Scheitern verurteilt, da ihre Beschwerden unterschiedlich waren und nicht alle befriedigt werden konnten. Aber das hat unheilige Allianzen nie verhindert. Menschen, die einen Groll hegen, sind eher daran interessiert, den aktuellen Führer zu stürzen, als einen konstruktiven Aktionsplan zu verfolgen. „Hass verdrängt die Vernunft“, sagten die Weisen.[3] Verletzter Stolz, das Gefühl, dass die Ehre einem selbst und nicht einem anderen gebührt, hat, seit es Menschen auf Erden gibt, schon zu vielen zerstörerischen und selbstzerstörerischen Handlungen geführt.

Drittens: Wähle einen Moment, in dem die Person, die du abzusetzen versuchst, verwundbar ist. Ramban merkt an, dass Korachs Aufstand unmittelbar nach der Episode mit den Kundschaftern und dem darauf folgenden Urteil, dass das Volk das Land nicht vor der nächsten Generation betreten würde, stattfand. Solange die Israeliten das Gefühl hatten, dass sie sich ihrem Ziel näherten, gab es keine realistische Chance, das Volk zum Aufstand zu bewegen. Erst als sie erkannten, dass sie die Überquerung des Jordans nicht mehr erleben würden, war ein Aufstand möglich. Das Volk schien nichts mehr zu verlieren zu haben.

Der Vergleich zwischen der Politik des Menschen und der des Schimpansen ist nicht leichtfertig gezogen. Das Judentum hat seit langem verstanden, dass der Homo sapiens eine Mischung aus dem ist, was der Sohar Nefesch habehamit und Nefesch haelokit nennt, die tierische Seele und die göttliche Seele. Wir sind keine körperlosen Seelen. Wir haben körperliche Begierden, die in unseren Genen verschlüsselt sind. Wissenschaftler sprechen heute von drei Systemen: dem „Reptiliengehirn“, das die ursprünglichsten Kampf-oder-Flucht-Reaktionen auslöst, dem „Affengehirn“, das sozial und emotional ist und einen Sinn für Hierarchien hat, und dem menschlichen Gehirn, dem präfrontalen Cortex, der langsam und reflektierend arbeitet und in der Lage ist, die Konsequenzen alternativer Handlungsweisen zu durchdenken. Dies bestätigt, was Juden und andere, darunter Platon und Aristoteles, schon lange erkannt hatten. In der Spannung und im Zusammenspiel dieser Systeme spielt sich das Drama der menschlichen Freiheit ab.

In seinem jüngsten Buch stellt Frans de Waal fest: „Bei den Schimpansen dominiert die Rangordnung alles.“ Unter den Weibchen gilt dies als selbstverständlich und führt nicht zu Konflikten. Aber bei den Männchen „ist die Macht immer umkämpft“. Sie „muss erkämpft und wachsam gegen Rivalen verteidigt werden“. Schimpansenmännchen sind „plaudernde und intrigante Machiavellisten“.[4] Die Frage ist: Sind wir das auch?

Diese Frage ist nicht belanglos. Sie ist vielleicht sogar die wichtigste von allen, wenn die Menschheit eine Zukunft haben soll. Anthropologen sind sich weitgehend einig, dass die ersten Menschen, die Jäger und Sammler, im Allgemeinen egalitär lebten. Jeder hatte in der Gruppe seine Rolle. Im Wesentlichen ging es darum, am Leben zu bleiben, Nahrung zu finden und Raubtieren aus dem Weg zu gehen. So etwas wie angehäuften Reichtum gab es nicht. Erst mit der Entwicklung des Ackerbaus, der Städte und des Handels wurden die menschlichen Gesellschaften von Hierarchien beherrscht. In der Regel gab es einen absoluten Herrscher, eine regierende (gebildete) Schicht und die Massen, die als Arbeitskräfte für monumentale Bauvorhaben und als Truppen für die königliche Armee eingesetzt wurden. Das Judentum trat als Protest gegen diese Struktur auf die Weltbühne.

Wir sehen dies im ersten Kapitel der Tora, wo Gott den Menschen nach Seinem Ebenbild und Gleichnis erschafft, was bedeutet, dass wir alle gleichermaßen Fragmente des Göttlichen sind. Warum, so fragten die Weisen, wurde der Mensch nicht als Gemeinschaft, sondern als einzelnes Wesen erschaffen? „Damit niemand sagen kann: Meine Vorfahren waren größer als deine“ (Mischna Sanhedrin 4:5). Etwas von diesem Egalitarismus klingt in der Bemerkung Moses gegenüber Josua an: „Wenn nur das ganze Volk des Ewigen Propheten wäre und Gott Seinen Geist auf sie legen würde“ (Num. 11:29).

Doch wie viele Ideale der Tora – darunter auch der Vegetarismus, die Abschaffung der Sklaverei und die Monogamie – konnte auch der Egalitarismus nicht von heute auf morgen verwirklicht werden. Dies sollte Jahrhunderte, Jahrtausende dauern und ist in vielerlei Hinsicht immer noch nicht vollständig erreicht.

Im biblischen Israel gab es zwei hierarchische Strukturen. Es gab Könige und es gab Priester, darunter den Hohepriester. Beide wurden nach einer Krise eingeführt: die Monarchie nach dem Scheitern der Herrschaft der „Richter“, das Priestertum der Nachkommen Aarons und der Leviten nach der Sünde des Goldenen Kalbes. Das eine wie das andere führte unweigerlich zu Spannungen und Spaltungen.

Das biblische Israel überlebte als geeintes Königreich[5] nur drei Generationen von Königen, bevor es zur Spaltung kam. Das Priestertum wurde in der Endphase des Zweiten Tempels zu einer der Hauptursachen für den Bruch, der zu sektiererischen Spaltungen zwischen den Sadduzäern, den Boethusianern und den anderen führten. Die Geschichte von Korach erklärt, warum. Wo es eine Hierarchie gibt, gibt es auch einen Wettbewerb darum, wer das Alphamännchen ist.

Ist Hierarchie ein unvermeidliches Merkmal aller Hochkulturen? Maimonides scheint diese Frage zu bejahen. Für ihn war die Monarchie eine positive Institution und nicht nur ein Zugeständnis. Isaak Ben Juda Abarbanel (1437-1508) scheint diese Frage indes zu verneinen. Es gibt Passagen in seinen Schriften, die darauf hindeuten, dass er ein utopischer Anarchist war, der glaubte, dass in einer idealen Welt niemand über andere herrschen würde. Alle würden nur die Herrschaft Gottes anerkennen.

Zusammengenommen lassen die Geschichte von Korach und Frans de Waals Schimpansenversion von Ein Kartenhaus[6] den Schluss zu, dass es überall dort, wo es eine Hierarchie gibt, auch Kämpfe um die Position des Alphamännchens gibt. Das Ergebnis ist, was Thomas Hobbes „ein immerwährendes und rastloses Verlangen der Mächtigen nach der Macht, das erst mit dem Tod endet“, nannte.[7]

Deshalb richteten die Rabbinen ihre Aufmerksamkeit nicht auf die hierarchischen Kronen des Königtums oder der Priesterschaft, sondern auf die nichthierarchische Krone der Tora, die allen offensteht, die sie suchen. Hier führt der Wetteifer nicht zu Konflikten, sondern zu einem Gewinn an Weisheit,[8] und wo selbst der Himmel sagt, wenn er sieht, dass die Weisen uneins sind: „Dies und das sind die Worte des lebendigen Gottes.“[9]

Die Geschichte von Korach wiederholt sich in jeder Generation. Das Gegenmittel ist das tägliche Eintauchen in die alternative Welt des Torastudiums, das nach Wahrheit und nicht nach Macht strebt und alle Menschen gleichermaßen als Stimmen in einem heiligen Meinungsaustausch würdigt.

[1] Frans de Waal, Chimpanzee Politics (London, Cape, 1982).

[2] Dieser Essay wurde in den Tagen nach dem Brexit-Referendum in Großbritannien geschrieben, als in den beiden großen politischen Parteien ein Kampf um die Parteiführung stattfand. Ich überlasse es dem Leser, Vergleiche mit der Primatenpolitik oder der Geschichte von Korach zu ziehen.

[3] Bereschit Raba 55:8.

[4] Frans de Waal, Are We Smart Enough to Know How Smart Animals Are? (New York, Norton, 2016), S. 168.

[5] Nach dem Referendum über den Brexit wird in Großbritannien die Frage gestellt, ob das Vereinigte Königreich tatsächlich ein vereinigtes Königreich bleiben wird.

[6] Michael Dobbs, Ein Kartenhaus (Allgemeine Reihe, Bastei Lübbe Taschenbücher).

[7] Thomas Hobbes, Leviathan (1651), Teil 1, Kap. 11.

[8] Baba Batra 21a.

[9] Das heißt, beide Ansichten sind richtig, siehe Eruwin 13b; Gittin 6b.

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