Jan ‍‍2024 - תשפד / תשפה

Der Marsch der Torheit

   In der Geschichte von den Plagen gibt es einen faszinierenden Moment, der uns innehalten und aufhorchen lassen sollte. Zu Beginn der Parascha dieser Woche ist Ägypten bereits von sieben Plagen heimgesucht worden. Das Volk leidet. Mehrere Male scheint der Pharao weich zu werden, nur um sein Herz wieder zu verhärten. Bei der siebten Plage, dem Hagel, scheint er sogar seinen Fehler einzugestehen.

„Der Pharao rief Moses und Aaron zu sich: ‚Diesmal habe ich gesündigt‘, sagte er zu ihnen. ,Gott ist im Recht, und ich und mein Volk sind im Unrecht‘“ (Exod. 9:27).

Doch kaum ist die Plage vorbei, überlegt er es sich anders:

„Er und seine Beamten“, sagt die Tora, „verhärteten ihre Herzen“ (Exod. 9:34).

Und nun sind Moses und Aaron zum Pharao gekommen, um vor einer weiteren, möglicherweise verheerenderen Plage zu warnen, einer Heuschreckenplage, die, wie sie sagen, alles Getreide, das nach dem Hagel übrig geblieben ist, und die Früchte der Bäume kahl fressen wird. Und zum ersten Mal hören wir etwas, was wir noch nie gehört haben.

Seine eigenen Berater sagen dem Pharao, dass er einen Fehler begeht:

„Die Beamten des Pharao sagten zu ihm: ‚Wie lange soll uns dieser Mann noch ein Verhängnis sein? Lass das Volk doch ziehen, damit sie dem Ewigen, ihrem Gott, dienen können. Siehst du denn immer noch nicht, dass Ägypten zugrunde geht?‘“ (Exod. 10:7).

Diese Worte verändern die Situation sofort. Wie das?

1984 veröffentlichte die Historikerin Barbara Tuchman ein berühmtes Buch mit dem Titel The March of Folly[1] (Der Marsch der Torheit). Darin stellte sie die große Frage: Wie kommt es, dass kluge Menschen im Laufe der Geschichte immer wieder törichte Entscheidungen getroffen haben, die sowohl ihnen selbst als auch den Menschen, die sie führten, geschadet haben?

Damit meinte sie nicht Entscheidungen, die sich im Nachhinein als falsch herausgestellt haben. Solche Fehler kann jeder machen. Das liegt in der Natur der Führung und des Lebens. Wir sind aufgerufen, Entscheidungen unter ungewissen Bedingungen zu treffen. Mit der Weisheit des Rückblicks können wir erkennen, wo wir aufgrund von Faktoren, die wir damals nicht kannten, falsch gehandelt haben.

Was sie meinte, waren Entscheidungen, von denen die Menschen schon zum Zeitpunkt, da sie getroffen wurden, wussten, dass sie falsch waren. Es gab Warnungen, die ignoriert wurden. Als Beispiel nannte sie die Legende vom hölzernen Pferd von Troja. Die Griechen belagerten Troja zehn Jahre lang erfolglos. Schließlich schienen sie aufzugeben und segelten davon, wobei sie ein riesiges hölzernes Pferd zurückließen. Die Trojaner zogen das Pferd als Symbol ihres Sieges begeistert in die Stadt. Wie uns die Sage berichtet, befanden sich im Inneren des Pferdes dreißig griechische Soldaten, die in dieser Nacht aus ihren Verstecken kletterten und dem griechischen Heer, das im Schutze der Dunkelheit zurückgesegelt war, die Tore der Stadt öffneten.

Das war eine brillante List. Der trojanische Priester Laokoon ahnte ein Komplott und warnte sein Volk mit den berühmten Worten: „Ich fürchte die Griechen, auch wenn sie mit Geschenken kommen.“ Seine Warnung wurde ignoriert – und Troja fiel.

Als weiteres Beispiel nennt Tuchman das Papsttum im 16. Jahrhundert, das sowohl in finanzieller als auch in anderer Hinsicht korrupt geworden war. Es gab viele Rufe nach Reformen, aber sie wurden alle ignoriert. Der Vatikan betrachtete sich als zu mächtig, um zu scheitern, so wie manche Finanzinstitute heute. In der Folge führte diese starre Haltung zur Reformation und zu mehr als ein Jahrhundert Religionskriegen in ganz Europa.

Vor diesem Hintergrund ist die Geschichte vom Pharao und seinen Beratern zu lesen. Sie ist eines der frühesten überlieferten Beispiele für die Torheit der Regierenden. Wie kommt es dazu?

Vor einigen Jahren produzierte das DreamWorks Animation Studios einen Zeichentrickfilm über Moses und die Geschichte des Exodus mit dem Titel Der Prinz von Ägypten. Der Produzent Jeffrey Katzenburg lud mich zu einer Vorführung ein, als der Film etwa zur Hälfte fertig war, um von mir zu hören, ob ich ihn für eine verantwortungsbewusste und einfühlsame Art hielt, die Geschichte zu erzählen, was ich auch durchaus fand.

Was mich fasziniert hat, und vielleicht hätte ich das schon früher verstehen sollen, ist, dass der Film Pharao nicht als bösen Mann darstellt, sondern als einen zutiefst konservativen Menschen, der sich vor der Aufgabe sah, das damals schon langlebigste Reich der antiken Welt zu erhalten und nicht durch Veränderungen untergraben zu lassen.

Wer weiß, was passieren würde, wenn man Sklaven erst einmal freiließe? Die königliche Autorität würde wie besiegt erscheinen. Ein Riss im politischen Gefüge würde sichtbar werden. Das scheinbar unumstößliche Gebäude der Macht würde als erschüttert angesehen werden. Und das wäre der Anfang vom Ende für diejenigen, die Veränderungen fürchten.

Unter diesen Umständen ist es verständlich, dass der Pharao sich weigerte, auf seine Berater zu hören. In seinen Augen waren sie schwach, defätistisch, gaben dem Druck nach, und jedes Zeichen von Schwäche in der Führung würde nur zu mehr Druck und mehr Kapitulation führen. Besser, stark zu sein, weiterhin „Nein“ sagen und eine weitere Plage ertragen.

Wir sehen den Pharao als böse und töricht, weil wir das Buch gelesen haben. Seine Berater sahen, dass er sein Volk in die Katastrophe führte, aber vielleicht glaubte er, dass er stark war, während sie nur ängstlich waren. Erst im Rückblick erscheint Führung als etwas Leichtes und treten ihre Fehler deutlich zutage.

Dennoch bleibt der Pharao ein bleibendes Symbol für das Versagen, auf die eigenen Berater zu hören. Er war nicht in der Lage zu erkennen, dass sich die Welt verändert hatte, dass er mit etwas Neuem konfrontiert war, dass die Versklavung eines Volkes nicht länger hinnehmbar war, dass die alte Magie nicht mehr funktionierte, dass das Reich, über das er herrschte, langsam veraltete und dass er sein Volk umso näher an den Rand der Tragödie führte, je starrsinniger er wurde.

Auf Ratschläge zu hören, auf Veränderungen zu reagieren und zuzugeben, dass man sich geirrt hat, dies gehört nach wie vor zu den schwierigsten Aufgaben einer Führungskraft. Ratschläge abzulehnen, die Weigerung, sich zu ändern, oder nicht zuzugeben, dass man im Unrecht ist, mag für manche wie Stärke aussehen. In der Regel markiert dies jedoch den Beginn eines weiteren Marsches der Torheit.

[1] Barbara W. Tuchman, The March of Folly: From Troy to Vietnam (Random House Trade Paperbacks, 1985). Deutsche Ausgabe: Die Torheit der Regierenden: Von Troja bis Vietnam (Fischer Taschenbuch Verlag, 7. Auflage, Neuausgabe, 2001).

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