Mrz ‍‍2023 - תשפג / תשפד

Das Streben nach Sinn

Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung spricht von den unveräußerlichen Rechten auf Leben, Freiheit und Streben nach Glück. In jüngster Zeit sind infolge der Pionierarbeit von Martin Seligman, dem Begründer der Positiven Psychologie, Hunderte von Büchern über das Glück erschienen. Doch gibt es für das Gefühl eines erfüllten Lebens noch etwas Grundlegenderes: den Sinn. Es scheint, als seien sich beide sehr ähnlich. Leicht könnte man annehmen, dass Menschen, die Sinn finden, glücklich sind, und dass Menschen, die glücklich sind, Sinn gefunden haben. Und doch sind sie keineswegs gleichzusetzen, noch gibt es immer Überschneidungen. Glück ist weitgehend eine Frage der Befriedigung von Bedürfnissen und Wünschen. Bei Sinn geht es dagegen um den Lebensinhalt, insbesondere um den positiven Beitrag zum Leben anderer. Bei Glück geht es im Wesentlichen darum, wie man sich in der Gegenwart fühlt. Bei Sinn geht es darum, wie man sein Leben als Ganzes bewertet: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.

Glück hat mit Nehmen zu tun, Sinn mit Geben. Menschen, die unter Stress, Sorgen oder Ängsten leiden, sind nicht glücklich, aber sie können ein sinnerfülltes Leben führen. Vergangene Schicksalsschläge schmälern das gegenwärtige Glück, doch verbinden Menschen solche Momente oft mit der Entdeckung von Lebenssinn. Zudem ist Glück nicht auf den Menschen beschränkt. Auch Tiere empfinden Zufriedenheit, wenn ihre Wünsche und Bedürfnisse erfüllt werden. Sinn aber ist ein rein menschliches Phänomen. Es hat nichts mit Natur zu tun, sondern mit Kultur. Es ist nicht, was uns widerfährt, sondern wie wir das, was uns widerfährt, interpretieren. Es kann Glück ohne Sinn, und Sinn in der Unglückseligkeit geben, sogar inmitten von Finsternis und Schmerz.[1]

In einem faszinierenden Artikel in The Atlantic mit dem Titel There’s More to Life Than Being Happy[2] (Es gibt mehr im Leben als Glücklichsein) argumentiert Emily Smith, dass das Streben nach Glück zu einem relativ oberflächlichen, egoistischen und sogar selbstsüchtigen Leben führen kann. Der Unterschied zur Sinnsuche besteht darin, dass es dabei um die Suche nach etwas geht, das größer ist als man selbst.

Niemand hat mehr dazu beigetragen, die Frage nach dem Sinn in den modernen Diskurs einzubringen, als der verstorbene Viktor Frankl, der in den vorliegenden Essays über Spiritualität eine wichtige Rolle spielt.[3] In den drei Jahren, die er in Auschwitz verbrachte, überlebte Frankl und half anderen zu überleben, indem er sie inspirierte, selbst inmitten der Hölle auf Erden einen Sinn im Leben zu finden. Er war sich bewusst, dass in den Lagern diejenigen starben, die den Willen zum Leben verloren hatten. Dort formulierte er die Ideen, die er später zu einer neuen Form der Psychotherapie weiterentwickelte, die auf – wie er es nannte – „des Menschen Suche nach Sinn“ beruhte. Sein gleichnamiges Buch, das er 1946 in nur neun Tagen schrieb, wurde weltweit über zehn Millionen Mal verkauft und gilt als eines der einflussreichsten Werke des zwanzigsten Jahrhunderts.

Frankl pflegte zu sagen, dass der Weg zur Sinnfindung nicht darin besteht, zu fragen, was wir vom Leben wollen. Vielmehr sollten wir uns fragen, was das Leben von uns will. Ein jeder von uns, so sagte er, ist einzigartig: in seinen Begabungen, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Talenten und in den Umständen seines Lebens. Daher gibt es für jeden von uns eine Aufgabe, die nur wir erfüllen können. Das heißt nicht, dass wir besser sind als andere. Aber wenn wir glauben, dass wir aus einem bestimmten Grund hier sind, dann gibt es ein Tikun, eine Korrektur, die nur wir vornehmen können; einen Funken des Lichts, den nur wir erlösen können; einen Akt der Freundlichkeit oder des Mutes oder der Großzügigkeit oder der Gastfreundschaft, den nur wir vollbringen können; sogar ein Wort der Ermutigung oder ein Lächeln, das nur wir geben können, weil wir hier sind, an diesem Ort, zu dieser Zeit, diesem Menschen gegenüber, in diesem Augenblick seines Lebens.

„Das Leben ist eine Aufgabe“, pflegte er zu sagen, und fügte hinzu: „Der religiöse Mensch unterscheidet sich vom scheinbar unreligiösen nur dadurch, dass er sein Dasein nicht nur als konkrete Aufgabe, sondern als persönlichen Auftrag erlebt.“ Er ist sich bewusst, dass er von einer Quelle berufen, aufgefordert ist. „Seit Jahrtausenden wird diese Quelle Gott genannt.“[4]

Das ist die Bedeutung des Wortes, nach dem unsere Parascha und das dritte Buch der Tora benannt sind: Wajikra, „Und Er rief“. Die genaue Bedeutung dieses einleitenden Verses ist schwer zu verstehen. Wörtlich übersetzt lautet er: „Und Er rief Moses, und Gott sprach zu ihm aus dem Zelt der Begegnung also…“ Der erste Teil des Satzes scheint überflüssig zu sein. Wenn uns gesagt wird, dass Gott zu Moses sprach, warum dann zusätzlich „Und Er rief“? Raschi erklärt dies wie folgt

Und Er rief Moses: Jedes [Mal wenn Gott mit Moses kommunizierte, sei es durch den Ausdruck] „und Er sprach“ oder „und Er sagte“ oder „und Er gebot“, ging dem immer ein Rufen [Gottes zu Moses bei dessen Namen] voraus.[5]

„Rufen“ ist ein Ausdruck der Zuneigung. Es ist der Ausdruck, den die dienenden Engel verwenden, wenn es heißt: „Und einer rief dem anderen zu“ (Jesaja 6:3).

Wajikra, so sagt uns Raschi, bedeutet, zu einer Aufgabe in Liebe berufen zu sein. Dies ist die Quelle einer der Schlüsselideen des westlichen Denkens, nämlich des Konzepts des „Berufs“ oder einer „Berufung“, das heißt, eine berufliche Laufbahn oder eine Lebensweise nicht nur deshalb zu wählen, weil man sie gerne ausübt oder weil sie bestimmte Vorteile bietet, sondern weil man sich dazu berufen fühlt. Man hat das Gefühl, dass dies der Sinn und die Aufgabe des eigenen Lebens ist. Das ist es, wofür man auf die Welt gekommen ist.

Im Tanach gibt es viele solcher Aufrufe. Da war der Ruf an Abraham, sein Land und seine Familie zu verlassen (Gen. 12:1). Da war der Ruf, den Moses am brennenden Dornbusch vernahm (Exod. 3:4). Und da war der Ruf an Jesaja, als er in einer mystischen Vision Gott von Engeln umgeben thronen sah:

Da hörte ich die Stimme Gottes sagen: „Wen soll ich senden? Und wer wird für uns gehen?“ Und ich sprach: „Hier bin ich, sende mich!“ (Jes. 6:8).

Eine der bewegendsten Geschichten ist die des jungen Samuel, der von seiner Mutter Hanna für den Dienst im Heiligtum von Silo als Gehilfe des Priesters Eli geweiht wurde. Nachts im Bett hörte er eine Stimme, die seinen Namen rief. Er nahm an, es sei Eli. Als er zu ihm lief, um zu sehen, was er wolle, sagte ihm Eli, dass er ihn nicht gerufen habe. Dies geschah ein zweites Mal und ein drittes Mal, bis Eli erkannte, dass es Gott war, der das Kind rief. Er wies Samuel an, das nächste Mal, wenn die Stimme seinen Namen rufe, zu antworten: „Sprich, Gott, denn dein Knecht hört.“ Dem Kind kam nicht in den Sinn, dass es Gott sein könnte, der ihn zu einer Aufgabe rief, und doch war es so. Damit begann seine Laufbahn als Prophet, Richter und Salbungsbote der ersten beiden Könige Israels, Saul und David (siehe I Samuel 3).

Wenn wir ein Unrecht sehen, das korrigiert werden muss, eine Krankheit, die geheilt werden muss, ein Bedürfnis, das gestillt werden muss, und wenn wir spüren, dass es zu uns spricht, dann sind wir dem Wajikra, dem Ruf Gottes, so nahe, wie wir es in einem post-prophetischen Zeitalter nur sein können. Und warum erscheint das Wort gerade hier, am Anfang des dritten und zentralen Buches der Tora? Weil es im Buch Levitikus um Opfer geht, und eine Berufung hat mit Opfern zu tun. Wir sind bereit, Opfer zu bringen, wenn wir spüren, dass sie Teil der Aufgabe sind, zu der wir berufen sind.

Aus der Perspektive der Ewigkeit mag uns manchmal das Gefühl der eigenen Bedeutungslosigkeit überwältigen. Wir sind nicht mehr als eine Welle im Meer, ein Sandkorn am Strand, ein Staubkorn auf der Oberfläche der Unendlichkeit. Und doch sind wir hier, weil Gott es so gewollt hat, weil wir eine Aufgabe zu erfüllen haben. Die Suche nach dem Sinn ist die Suche nach dieser Aufgabe.

Jeder von uns ist einzigartig. Selbst genetisch identische Zwillinge sind verschieden. Es gibt Dinge, die nur wir vollbringen können – wir, die wir sind, wie wir sind, in dieser Zeit, an diesem Ort, unter diesen Umständen. Für jeden von uns hat Gott eine Aufgabe: eine Arbeit zu tun, eine Freundlichkeit zu zeigen, eine Gabe zu geben, Liebe zu schenken, Einsamkeit zu lindern, Schmerz zu heilen, zerbrochenes Leben zu heilen. Diese Aufgabe zu erkennen, Wajikra, den Ruf Gottes zu hören, ist eine der großen geistigen Herausforderungen für jeden von uns.

Doch wie können wir erkennen, was das ist? Vor einigen Jahren habe ich in To Heal a Fractured World (Eine zerbrochene Welt heilen) diese Orientierungshilfe angeboten, und sie scheint mir immer noch sinnvoll zu sein: Dort, wo das, was wir tun wollen, und das, was getan werden muss, zusammenkommen, eben dort will Gott uns haben.

[1] Siehe Roy F. Baumeister, Kathleen D. Vohs, Jennifer Aaker, und Emily N. Garbinsky, Some Key Differences between a Happy Life and a Meaningful Life im Journal of Positive Psychology, Band 8, Ausgabe 6 (2013), S. 505–16.

[2] Emily Smith, There’s More to Life Than Being Happy, The Atlantic, 9. Januar 2013.

[3] Siehe insbesondere den zuvor in dieser Reihe erschienenen Beitrag mit dem Titel Umdeutung.

[4] Viktor Frankl, The Doctor and the Soul: from Psychotherapy to Logotherapy (New York, A. A. Knopf, 1965), S. 13.

[5] Raschi zu Levitikus 1:1.

Die Parascha in anderen Sprachen finden Sie hier