Aug 2007

Besuch bei einer orthodoxen Familie in Köln – „Hungrig nach jüdischer Identität“ ()

Von Suska Döpp

Tanz, Malerei, Theater und Musik – die jüdischen Kulturtage im Rheinland zeigen bis Anfang April viele Facetten jüdischen Lebens. Doch der Alltag lässt sich bei Konzerten und in Galerien nur erahnen. WDR.de traf eine jüdische Familie in Köln.

Am Freitagabend, kurz nachdem die Sonne untergegangen ist, beginnt für Shaked die schönste Zeit der Woche. Aufgeregt schaut der Dreijährige zu, wie seine Mutter Keren die Schabbatkerzen anzündet und ein Gebet spricht. „Er freut sich, weil die Kinder am Schabbat-Abend immer etwas Süßes bekommen und weil er gleich mit seinem Vater in die Synagoge gehen kann“, lacht Keren Ginzberg. Der Schabbat ist der jüdische Ruhetag der Woche. Auch Amit, die sechsjährige Schwester von Shaked, geht an diesem Tag in die Synagoge. Während des Gottesdienstes sitzt sie mit ihrer Mutter auf der Frauenempore. Denn unten im Hauptraum der Synagoge dürfen in Köln nur die männlichen Mitglieder der jüdischen Gemeinde beten.

Orthodoxe sind in der Minderheit

Keren, Eran und ihre beiden Kinder werden in den nächsten 24 Stunden nicht fernsehen und nicht Radio hören. Sie werden sich nur zu Fuß fortbewegen, kein elektrisches Licht anschalten und nicht telefonieren – bis am Samstagabend die ersten drei Sterne aufgegangen sind und der Schabbat damit vorbei ist. Für die Familie Ginzberg ist das alles völlig normal. Aber Keren weiß, dass sich die meisten der 5.000 Kölner Juden kaum vorstellen können, orthodox, also streng nach der Halacha, dem jüdischen Religionsgesetz, zu leben und einen koscheren Haushalt zu führen. Obwohl die Gemeinde ihrem Selbstverständnis nach orthodox ist. Und Keren schmunzelt, wenn sie erzählt, dass auch ihre jüdischen Freunde „eine ganze Menge dazugelernt haben, seit sie uns kennen. Die haben jetzt Einweggeschirr im Haus, weil die normalen Sachen ja nicht koscher sind und einige haben sogar zusätzliche Töpfe, damit sie für uns fleischige und milchige Speisen getrennt kochen können.“

Von Israel nach Deutschland

Die Familie Ginzberg kam vor fünf Jahren aus Israel nach Köln, weil Keren eine Stelle als Hebräisch- und Religionslehrerin in der jüdischen Grundschule angeboten worden war. Damals haben sich die beiden „große Sorgen“ gemacht. Weil es, anders als in Israel, nicht in jedem Laden koschere Produkte gibt, weil sie nicht wussten, wie das Leben in einer Gemeinde ist, in der die meisten Juden so selten in die Synagoge gehen wie Christen in die Kirche. Und vor allem, weil ihnen ein bisschen mulmig war bei dem Gedanken, als Juden ausgerechnet nach Deutschland einzuwandern. „Am Anfang habe ich über meiner Kipa immer ein Käppi getragen“, erzählt Eran. Seine Frau, die ihre Haare nach orthodoxer Tradition in der Öffentlichkeit immer bedeckt, hatte Angst, dass sie wegen ihrer Hüte schief angeschaut wird.

Eine jüdische Welt

Inzwischen finden es die Ginzbergs „leicht, in Köln fromme Jude zu sein“. Schief angeschaut hat sie niemand und die Familie hat auch nicht-jüdische Freunde gefunden. Vor allem aber ist die jüdische Gemeinde zum Mittelpunkt ihres Lebens geworden. Die meisten Stunden des Tages verbringen die Ginzbergs im Gemeindezentrum, dem ehemaligen jüdischen Krankenhaus „Jüddespidoh“. Hinter kugelsicheren Scheiben und hohen Zäunen hat sich hier eine jüdische Welt entwickelt, in der auch Nicht-Juden wilkommen sind – als Besucher oder als Angestellte der Gemeinde. In dem Gemeindezentrum besucht die sechsjährige Amit die Schule, in der ihre Mutter unterrichtet. Ihr Bruder Shaked geht zwei Etagen tiefer in den Kindergarten.

Strenge Speisevorschriften

Eran Ginzberg arbeitet meistens in den Küchen, die das Essen für die Kinder, das Altersheim und die Verwaltung liefern. Er ist der Mashgiach Kaschrut (Mashgiach: hebr.: Aufseher; Kaschrut: Speisevorschriften) der Gemeinde und dafür verantwortlich, dass die Speisegesetze eingehalten werden. Denn auch wenn die meisten Kölner Juden zuhause nicht darauf achten, ist es doch selbstverständlich, dass die Gemeinde eine koschere Küche führt. Eran kontrolliert, ob alle angelieferten Lebensmittel koscher sind, überprüft die Lager und Kühlräume und achtet darauf, dass nicht aus Versehen Wärmebehälter, Löffel, Teller oder Töpfe aus der Küche für Fleischspeisen in die Milchküche geraten oder umgekehrt.

Bewusstes Leben als Juden

Dass die orthodoxe Familie hier in der Minderheit ist, findet Keren nicht schlimm. „Für die meisten ist Religion nicht so wichtig, aber eigentlich sind alle sehr bewusste Juden und die Gemeinde mit ihren Jugend- und Seniorenclubs und allem, was dazu gehört, bedeutet ihnen viel.“ Vor allem die etwa 3.000 Gemeindemitglieder, die seit Anfang der 90er Jahre aus der ehemaligen Sowjetunion eingewandert sind, seien „hungrig nach jüdischer Identität“. Für sie hat die Gemeinde Sprach- und Religionskurse, eine Kleiderkammer und soziale Beratung eingerichtet.
Wie es sich anfühlt, in einer Umgebung aufzuwachsen, in der das Judentum unterdrückt wird, kann Keren gut verstehen. Sie selbst ist erst mit 15 aus dem atheistischen Russland nach Israel gekommen und hat dort die Tradition und Religion ihrer Väter langsam wiederentdeckt. „Nicht jeder wird religiös, aber alle sind stolz drauf, Juden zu sein.“