Dez ‍‍2010 - תשע / תשעא

Jakobs Weg

Warum Torastudium und Landesverteidigung zusammengehören

Ab und zu, wenn es in Israel nichts anderes zu berichten gibt, oder wenn in den Medien über Militär- oder Finanzprobleme diskutiert wird, kommen die Politiker und Journalisten auf ein Thema zurück: die große Zahl von jungen Männern in Israel im Alter zwischen 18 und 28, die ihre ganze Zeit mit Toralernen verbringen. Man sagt, sie würden ihre bürgerlichen Pflichten nicht erfüllen. 

Wir sind daran gewöhnt, die Entwicklung der Welt und den Fortschritt des jüdischen Volkes in Israel immer mit Statistiken über Platzierungen im Vergleich zu anderen Ländern zu betrachten. Wir wollen wissen, wo dieses oder jenes Land wirtschaftlich oder wissenschaftlich im Vergleich mit anderen steht. Derjenige, der Tora lernt, findet in diesen Vergleichen keine passende Kategorie. Das Wissen eines durchschnittlichen Toraschülers über das Judentum ist größer als das eines Akademikers. Toraschüler lernen nicht akademisch, und selbst wenn sie es getan hätten, wäre es nicht möglich, sie mit Akademikern zu vergleichen. Das Toralernen dient der Seele und dem Geist der jüdischen Nation und schenkt ihr Leben. Es beeinflusst unsere Leistungen auch in allen anderen Lebensbereichen. 

Schon Israels erster Ministerpräsident David Ben-Gurion verstand, dass eine Handvoll Toraschüler ihren Beruf als Toralernen definieren darf und deshalb vom Wehrdienst befreit werden soll. Dennoch müssen wir uns fragen, ob es aus Sicht der Tora in Ordnung ist, wenn jeder Toraschüler vom Wehrdienst befreit wird, wenn er in der Jeschiwa lernen möchte. 

Kampftechnik

Nach einem langen Aufenthalt im Ausland, wohin er vor seinem Bruder geflohen war, bereitete sich Jakow, der Patriarch, zusammen mit seiner Gefolgschaft bei der Rückkehr nach Kanaan auf das Treffen mit Esaw vor. Er war sich dessen bewusst, dass dieser ihn umbringen wollte (1. Buch Moses 27,41). Raschi kommentiert: »Er war auf drei Optionen vorbereitet: Dass er ein Geschenk geben wird, dass er beten wird oder dass er kämpfen muss« (32,9). Jakow wusste, dass die Begegnung mit Esaw gefährlich werden könnte. 

War er auf einen Kampf vorbereitet? Beherrschte er entsprechende Techniken? Sehr wohl, Jakow war trainiert. Bereits während des Kampfes gegen den Engel (1. Buch Moses 32, 25-33) hatte er seine Stärke dermaßen gezeigt, dass der Engel einen Trick anwenden musste, um sich von Jakow zu befreien. Übrigens lehrte Jakow auch seine Söhne die Kampfkunst.

Auch Joschua und David waren Männer, die Tora und Kampfeskunst miteinander verbanden. Joschua konnte das Volk nicht nur spirituell führen – er hatte viel Zeit fürs Lernen der Tora investiert –, sondern er sollte die Kinder Israels beim Eroberungskrieg ins verheißene Land führen. Und König David hat Toralernen und Kampfeskunst in ausgezeichneter Art und Weise miteinander in Einklang gebracht.

In diesem Zusammenhang wird häufig der Talmud (Baba Batra 7) erwähnt. Dort steht, dass Toraschüler nicht vor Gefahren geschützt werden müssen. Aber heißt das, sie sollen sich nicht wehren, wenn ein Feind sie attackiert? Dieses Thema wird im Talmud im Zusammenhang mit der Steuerpflicht für Toraschüler für die Errichtung einer Schutzmauer diskutiert. Es ist ohne Zweifel: Im Krieg muss gekämpft werden, obwohl die Tora selbst einen Schutz bietet. In der Geschichte gab es allerdings Fälle wie 1929 bei dem Pogrom in der Jeschiwa in Hebron, als Angreifer das Haus stürmten und Toraschüler ermordeten. Kann man behaupten, die jungen Männer bräuchten keinen Schutz?

Tradition

Es wäre jedoch nicht gut, wenn ausnahmslos alle Toraschüler zum Militär eingezogen werden würden. Sehr gute Studenten, die Tag und Nacht Tora lernen, müssen vom Wehrdienst befreit werden. Das trifft aber nicht auf alle zu. Und wer würde sonst den Weg von Jakow und seinen Söhnen fortsetzen?

Es gibt eine Gruppe, die das Toralernen auch liebt und trotzdem einen Weg findet, Studium und Wehrdienst miteinander zu verbinden. Diese national-religiösen Menschen betrachten die Gründung des Staates Israel als heilig, weil darin die Vision der Propheten verwirklicht wird: Das Volk Israel versammelt sich im eigenen Land, um einen Staat zu gründen, der es seinen Einwohnern ermöglicht, ein erfülltes jüdisches Leben nach der Tora zu führen. 

Es wurden in Israel spezielle Jeschiwot gegründet, die die Verpflichtung für die Tora und die Verteidigung des Volkes miteinander kombinieren. Die Männer dort lernen auf höchstem Niveau Tora und dienen in Kampfeinheiten der Zahal. An dieser Stelle soll eine neue Option für den Wehrdienst erwähnt werden: die Nachal Charedi. In diesem Regiment leisten junge Charedim, die nicht Tora lernen können, ihren Wehrdienst. Sie achten auf die strikte Einhaltung der Gebote und verrichten den Dienst in Kampfeinheiten.

Training

Jakow, der Patriarch, der einen Engel bekämpft hat und sich vor seinem Treffen mit Esaw auf Beten, auf Geschenke aber auch auf Kampf mit seinem Bruder vorbereitet hatte, erwartet das Gleiche auch von uns. Die Beschäftigung mit der Tora und den Geboten ist keineswegs eine Schwäche, die uns von anderen Lebensbereichen abhalten muss. Gerade die größten Gerechten wie Jakow, Joschua, David und manch andere waren diejenigen, die nach entsprechendem Training das Volk Israel gut verteidigen konnten. 

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch Mosches Aussage erwähnen, als er zu den Stämmen Re’uven, Gad und Menasche sprach, die östlich des Jordans bleiben wollten: »Eure Brüder sollen in den Streit ziehen, und ihr wollt hier bleiben?« (4. Buch Moses 32,6). Wir erinnern uns daran, dass viele ausländische Juden während eines Krieges extra nach Israel flogen, um das Land zu unterstützen. Lasst uns darüber nachdenken, ob nicht mehr junge Menschen aus unseren hiesigen Gemeinden an speziellen Zahal-Programmen für ausländische Männer teilnehmen sollten.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund.