Jul ‍‍2009 - תשסט / תשע

Blühendes Leben

REINHEIT Wofür der Priester im Jerusalemer Tempel eine rote Kuh brauchte

Der Wochenabschnitt Chukkat erklärt, wie zur Zeit des Tempels aus einem rituell unreinen Menschen ein reiner wurde. Es waren dafür verschiedene Schritte notwendig. Zuerst wurde eine Rote Kuh (hebräisch: Para Aduma) zum Tempel gebracht. Sie musste ohne jeden Makel sein und durfte noch nie ein Joch getragen haben. In Gegenwart des Kohens, des Priesters, wurde sie geschlachtet und anschließend verbrannt. Ihre Asche wurde mit Wasser vermischt, und mit dieser Lösung bespritzte der Kohen den rituell unreinen Menschen (tame). Dieser wurde dadurch rein (tahor). Rituell unrein ist jemand, der zuvor einen Toten berührt hat. Der Kohen, der das Ritual im Tempel ausführte, wurde dadurch unrein, jedoch auf einem geringeren Niveau, so dass er sich anschließend einer solchen Prozedur nicht unterziehen musste.

ERKLÄRUNG König Salomon, einer der Weisesten unserer Geschichte, sagte über die Rote Kuh: »Amarti ech kama, we hi rechoka mimeni.« (Midrasch Tanchuma, Paraschat Chukat). Frei übersetzt heißt das: »Ich sagte mir, ich muss mir noch viel Weisheit aneignen, und doch ist sie (die Pflicht der Para Aduma) so weit von mir entfernt.« König Salomon hatte also keine Erklärung für die Rote Kuh, er fand keine Antwort, die ihn zufrieden stellte.

Wir aber, die wir nicht an die Weisheit von König Salomon heranreichen, sind in der Lage, – auf unserem Niveau – eine angemessene Antwort zu finden: In der Asche, die bei diesem Ritual verwendet wurde, steckten zwei unterschiedliche, entgegengesetzte Kräfte. Zum einen reinigte sie eine Person, die zuvor unrein war, zum anderen verunreinigte sie den Kohen, der zuvor rein war. Wir sind nun gefragt, für dieses Paradox eine Antwort zu finden.

REINHEIT Rabbi Jochanan ben Sakkai, der zur Zeit des Zweiten Tempels lebte, sagte seinen Schülern: »Der Tote verunreinigt nicht, und die Kuh macht nicht rein, und das Wasser macht nicht rein. Sondern G’tt sagte: Ein Gesetz (das auch gilt, wenn wir seinen Sinn nicht verstehen) habe ich erlassen … Du darfst dies nicht übertreten. Dies ist die Gesetzesgebung.«

Auf den ersten Blick mag uns Rabbi Jochanans Antwort als erklärungslos erscheinen. Er führt nur G’ttes Willen an. Er sagt eigentlich nur, dass das menschliche Gehirn dies nicht verstehen kann. Das ist aber doch keine Antwort. Die Aussage, dass das menschliche Denken begrenzt ist, ist eine unbefriedigende Erklärung.

Doch bei genauerer Untersuchung findet man folgende Erklärung: Rabbi Jochanan ben Sakkai sagt mit anderen Worten, dass es auf dieser Welt keine magischen Kräfte gibt. Man kann einer Materie keine guten oder schlechten Eigenschaften zuordnen. Das heißt, der Tote selbst ist nicht unrein (tame), und der, der ihn berührt hat, ist auch nicht unrein. Beide, sowohl der Tote als auch der Lebende, sind neutral (»lo ha met metame«).

ENTSCHEIDUNGEN Der Mensch ist es, der durch seine Gedanken seinen Geist unrein werden lässt. Er schafft seine Unreinheit in seinen Gedanken selbst. Der Mensch kann durch seine eigenen Entscheidungen die Welt gut oder schlecht für sich gestalten. Dies zeigt sich vor allem dann, wenn er die Gesetze der Tora befolgt und seinem Leben einen Wert und Sinn gibt. Wenn der Mensch dem Tod begegnet, denkt er, dass die Materie verschwindet, der Tote in Zukunft nicht mehr existieren wird. Seine Vorstellung von der Vergänglichkeit der Materie und sein Zweifel an der Existenz der Seele in der kommenden Welt lassen seine Gedanken unrein werden. Im fehlt das Vertrauen in G’tt.

LEBEN Materie selbst kann doch nicht unrein sein und Unreinheit im spirituellen Sinne auch nicht übertragen. Der Mensch kann sich allein durch schlechte Gedankengänge verunreinigen. Die Rote Kuh symbolisiert das gesunde, blühende Leben. Der Kohen verkörpert das Geistige und G’ttes Willen. Indem er die Kuh schlachtet, wird er Herr über das Leben, über die Materie und beendet ihr Leben. Der Mensch, der an der kommenden Welt gezweifelt und allein das Materielle in den Vordergrund seines Lebens gestellt hat, erkennt bei diesem Prozess der Opferung, dass die Materie selbst in den Hintergrund tritt. Durch diesen Lernprozess kann er seine Auffassung ändern, er reinigt damit seine Gedanken und wird tahor, rein.

Paradox ist dies nur für denjenigen, der die Materie ins Zentrum seines Denkens stellt. Wer jedoch daran glaubt, dass sich hinter der Materie noch etwas anderes, etwas Höheres verbirgt, nämlich G’tt, und wer daran glaubt, dass die Seele des Menschen uneingeschränkt ist und somit nach dem Tod weiter existiert, der kann diesen Prozess ohne Einwand akzeptieren.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg – Mülheim – Oberhausen.