Nov ‍‍2009 - תשסט / תשע

Zweierlei Maß

Von Noach erzählt die Tora (1. Buch Moses 6,9): »Er war ein gerechter Mann, tadellos in seiner Zeit und wandelte mit G’tt.« Seine Geburt wurde begrüßt, und er wurde bejubelt als jemand, der Trost (hebr. Nechama) bringt, der zur Ruhe verhilft und zum Aufatmen. Noach lebte wohlgefällig und gut vor G’tt und den Menschen.

Zu Noachs Zeit gab es ein paar einschneidende Ereignisse: Bis zur Sintflut aßen die Menschen nur Gemüse und Obst. Danach durften auch Tiere geschlachtet werden, um sie zu essen.

Noachidische Gebote

Durch das Gericht der Sintflut sind sieben Gesetze erkennbar. Sie werden als noachidische Gesetze bezeichnet und gelten von dieser Zeit an als verbindliche Lebensnormen. Es sind: das Verbot des Götzendienstes, das Verbot der G’tteslästerung, das Verbot der Unzucht, das Verbot des Blutvergießens, das Verbot von Raub und Diebstahl, das Verbot, Tiere zu essen, die noch leben, und das Gebot, Gerichte einzuführen, um das Rechtsprinzip zu wahren. In Anlehnung an diese Gebote werden alle Völker »Söhne Noachs« genannt.

In der Weiterführung der Geschichte G’ttes mit seinen Menschen bezeichnen sich später die Juden als Söhne Awrahams. Im Vergleich mit Awraham Avinu wird Noach von den Kommentatoren differenziert betrachtet. Einerseits wird er sehr positiv geschildert: Er lebte das positive Maximum in seiner von Gewalttaten erfüllten und verdorbenen Generation. Andererseits war er scheinbar nur auf sich und seine Familie bedacht. Noach schritt nicht ein, als er von G’ttes Beschluss hörte, alles Leben zu vernichten. Awraham dagegen handelte mit G’tt und bat um Verschonung, als er vom Gericht über die geplante Zerstörung von Sodom und Gomorrha hörte.

Kannte Noach seine Zeitgenossen so gut, dass er wusste, sie würden nicht umkehren? Was mag in ihm vorgegangen sein beim Anblick der von Gewalt und Inzest verdorbenen Menschen seiner Zeit und der Tiere, denen die Ausrottung drohte, während er 120 Jahre lang die Arche baute?

Da sprach der Ewige zu Noach: »Mein Geist soll nicht ewig im Menschen walten, da auch er Fleisch ist; so sollen denn seine Tage 120 Jahre sein« (6,13). Raschi kommentiert: Der Ewige, gelobt sei Sein Name, gibt den Menschen im Verbund der Gemeinde, in seinem Erbarmen eine Frist von 120 Jahren zur Umkehr. Diese Zeit wurde damals nicht wahrgenommen, darum kam so ein vernichtendes Gericht.

Turmbau

Aber auch die, die gerettet wurden, lernten nicht daraus. Unsere Parascha erzählt: Schon fünf Generationen später, zur Zeit des Turmbaus von Babel, kommt es wieder zum Gericht, allerdings ungleich anders: Hier waren sich die Menschen einig im Hochmut gegen HaSchem und einig auch in der Sprache (11,6). Bezeichnenderweise hat »we safah achat« (»und eine Sprache«) den gleichen Zahlenwert wie »Laschon ha kodesch« (»heilige Sprache «). Daraus kann man schließen, dass Hebräisch die erste Sprache der Welt war.

Es kommt zur Vertreibung, aber nicht zur Ausrottung. Zerstreute Generation (»dor haflaga«) war das Urteil. Offenbar kann man die Lehre daraus ziehen, dass in Babel die Sünde gegen HaSchem nicht so hoch bestraft wird wie die Sünde der Menschen untereinander zur Zeit Noachs, als man raubte, stahl, Inzest trieb und sich von Tieren begatten ließ.

Acht Menschen werden gerettet, durch das Gericht hindurch, und in einen neuen Bund mit HaSchem genommen. Neues Leben als Geschenk. Wie wird es gestaltet?

Noach war ein Ackermann, ein Bauer, und fing an, einen Weinberg zu pflanzen (9,20). Ein Midrasch erzählt: Als Noach sät, kommt Satan und fragt: »Was machst du?« Noach antwortet: »Ich habe in der Arche Samen bewahrt und werde jetzt einen Weinberg anlegen. Wein ist gut für den Menschen, er gibt Freude.« Satan bittet Noach, sein Partner zu werden. Noach nimmt an. Satan tötet ein Schaf und begießt mit dem Blut die Weinstöcke. Weiter nimmt er einen Löwen, einen Affen und ein Schwein und begießt ebenso mit ihrem Blut die Weinstöcke. Er will seinem Partner damit einen Hinweis und Andeutungen geben, was geschehen kann: Vor dem Trinken des Weins ist der Mensch wie ein Schaf, empfindlich und leicht zu töten. Wenn er Wein getrunken hat, fühlt er sich stark wie ein Löwe. Hat der Mensch mehr davon getrunken, gleicht sein Benehmen dem eines Affen. Trinkt er über die Maßen, wälzt er sich einem Schwein gleich im Schmutz (aus Simchat Josef von Rabbiner Josef Chaim Khasani).

Weingenuss

So erging es Noach (9,21). Die Tora gibt Anweisung zum Fröhlichsein, und Wein darf genossen werden. Aber wir Menschen brauchen den Zaun, das Geländer der Tora und die Werte der Weisen, um zum Leben zu finden. In der Mäßigung liegt das Leben. Selbst, wenn Wein als Mizwa getrunken wird, dann mit Maß. Man trinkt ihn zur Freude und zum Segen.

Über Noachs Ende sagen die Weisen in der Kabbala, dass der Allmächtige ihm weiter gnädig war: Es wird erzählt, dass Mosche Noachs Seele bekam. Mosche machte Noachs Seele wieder gut. Darauf deuten zwei Textstellen hin: »Beschagam« (»die menschlichen Fehler«, 6,3) haben den gleichen Zahlenwert wie Mosche, und in Kapitel 7,1 heißt es: Noach habe ich gerecht vor mir befunden in dieser Zeit. »Vor mir« kann heißen »jetzt« oder »später«.

Mosche wird als Gerechter seiner Generation bezeichnet. Und die Weisen fanden heraus, dass »haseh« (hebräisch: »diese«, Zahlenwert 17), die 17 Generationen zwischen Noach und Mosche andeuten.

So ist der Bogen gespannt in den Zusammenhängen zwischen Noach und Mosche und dem Wirken des Allmächtigen, gelobt sei Sein Name.

 

Der Autor ist Rabbiner der Israelitischen Kultusgemeinde Hof (Saale).