Nov ‍‍2015 - תשעה / תשעו

Von Generation zu Generation

SCHABBAT

Jizchak verstand seinen Auftrag darin, g’ttesfürchtige Völker hervorzubringen
Toldot, der Name unseres Wochenabschnitts, leitet sich aus seinem ersten Vers ab: »Und diese sind die Toldot (die Nachkommen, die Generationen) von Jizchak« (1. Buch Mose 25,19). Es ist daher verständlich, dass der Wochenabschnitt so genannt wird, vor allem, da die Grundregel zur Benennung aller Wochenabschnitte besagt, dass das erste auffallende Wort im Text als Namensgeber herangezogen wird.

Jedoch haben wir erst kürzlich einen Wochenabschnitt gelesen, der mit ganz ähnlichen Worten beginnt: »Dies sind die Toldot von Noach« (10,1). Jener Wochenabschnitt wird aber nicht Toldot genannt, sondern Paraschat Noach. Warum ist das so? Aus Gründen der Gleichberechtigung sollte doch entweder unsere Parascha »Jizchak« genannt werden oder der Wochenabschnitt Noach ebenfalls Toldot heißen. Anscheinend haben unsere Weisen einen Fehler bei der Benennung der Wochenabschnitte gemacht!

Oh nein! Natürlich ist es kein Fehler. Vielmehr wollten uns unsere Weisen mit der ungewöhnlichen Namensgebung etwas sehr Wichtiges lehren.

NACHKOMMEN Oberflächlich betrachtet, kann man viele Parallelen zwischen Jizchak und Noach ziehen. Beide hatten sowohl gerechte Nachkommen – Schem im Fall von Noach und Jakow im Fall von Jizchak – als auch Nachkommen, die weniger rechtschaffen waren: Bei Noach waren es Ham und Kenaan, bei Jizchak Esaw.

Es besteht jedoch ein fundamentaler Unterschied zwischen Noach und Jizchak. Jizchak hatte eine Erbschaft, die er Jakow hinterließ. Die Segnungen, die er seinem Sohn zuteilwerden ließ, sind diejenigen, mit denen ihn einst sein Vater Awraham segnete. Toldot sind nicht einfach materielle Dinge, die weitervererbt werden. Vielmehr vereinigen sich das nationale und das familiäre Gedächtnis sowie Traditionen zu Toldot. Es kommt also zu einer Kontinuität, die die Generationen zusammenschweißt.

Noach war ohne einen solchen Hintergrund, obgleich er auch ein rechtschaffener Mensch war. Er sah sich in keiner Weise als der Begründer eines Volkes oder einer Dynastie. Er hatte keinen Vater, der ihm den Wert von Tradition und Familie vermittelte. Awraham hingegen wurde von G’tt selbst als jemand beschrieben und ausgezeichnet, der ein Begründer von Nationen und Großfamilien sei, die seinem Beispiel folgend G’tt dienen werden.

TRADITION Es war genau dieses Erbe, das Jizchak antrat. Er verstand seinen Auftrag nicht nur darin, rechtschaffene Individuen hervorzubringen, sondern Toldot, also ewige nationale Generationen. Sie sollen das Erbe und die heilige Tradition weitergeben, die er einst von seinem Vater Awraham empfing: nämlich G’tt zu dienen. Dies ist der Grund, warum Jizchaks Parascha Toldot genannt wird und der Wochenabschnitt Noach lediglich »Noach« heißt. Die Tora selbst betont diesen Punkt. Sie bezeichnet Jizchak sofort als »Sohn Awrahams«. Noachs Vater Lamech wird im Wochenabschnitt Noach hingegen kein einziges Mal erwähnt. Einen zusätzlichen Hinweis darauf finden wir, wenn wir uns die beiden Wochenabschnitte genau anschauen: Paraschat Noach fängt direkt mit dem Wort »Eleh« – »diese« an. In unserer Parascha hingegen wird dem »Eleh« das Präfix »we« (und) vorangestellt. Es schafft eine Verbindung zum Vorherigen.

Es gibt in unserem Wochenabschnitt eine weitere Stelle, an der uns die Wichtigkeit von Toldot vor Augen geführt wird: G’tt sagt Jizchak zu, dass die Versprechen, die Er Awraham gab, durch ihn in Erfüllung gehen werden. Der Ewige begründet hier seine Treue zu Awraham: »Als Folge davon, dass Awraham auf meine Stimme gehört und was Ich ihm zur Hut übergab, gehütet hat: meine Gebote, meine Gesetze und meine Lehren« (26,5).

Der Talmud (Joma 28b) leitet aus diesem Vers ab, dass Awraham die gesamte Tora mit all ihren Ge- und Verboten eingehalten hat, die das jüdische Volk später am Berg Sinai bekam. Rawa, einer der Weisen des Talmuds, geht noch einen Schritt weiter, und stellt die These auf, dass Awraham selbst alle rabbinischen Gesetze, wie zum Beispiel Eruw Tawschilin, gehalten habe.

Man fragt sich, warum Rawa ausgerechnet das seltene Gebot von Eruw Tawschilin als Beispiel ausgewählt hat. Ein anderes wäre doch leicht zu finden gewesen, etwa die Wartezeit zwischen dem Verzehr von Fleisch- und Milchspeisen. Was ist so einzigartig und besonders am Eruw Tawschilin? Und – viel wichtiger! – was ist das überhaupt?

Ein Eruw Tawschilin wird immer dann gemacht, wenn ein jüdischer Feiertag direkt vor den Schabbat fällt. Anders als am Schabbat ist es an jüdischen Feiertagen normalerweise erlaubt, Speisen, die an diesem Tag verzehrt werden, zu kochen. Weil unsere Weisen aber befürchteten, dass es in Jahren, in denen der Schabbat nicht direkt nach einem Feiertag liegt, verwirren könnte, führten sie den Eruw Tawschilin ein: Essen, das noch vor dem Feiertag zubereitet wird und für den Schabbat bestimmt ist. Man legt diese Speise zur Seite und erklärt, dass man damit die Vorbereitung für den Schabbat begonnen hat.

Da unsere Vorväter bereits die gesamte Tora einhielten, war sie schon nationales Erbe, war sie Toldot. So lesen wir im 5. Buch Mose 33,4: »Die Lehre, die uns Mosche geboten hat, ist das Erbgut von Jakows Gemeinde.«

Die Übergabe der Tora am Berg Sinai war nur eine Weiterführung von dem, was unsere Vorväter angefangen haben. Genau wie das Grundprinzip des Eruw Tawschilin die Weiterführung von etwas vorher Angefangenem ist, sehen wir die Tora als Ausdruck von Toldot, dem nationalen Erbe des jüdischen Volkes, G’tt zu dienen. Eruw Tawschilin ist das Sinnbild von Tradition und somit das Sinnbild des jüdischen Volkes.

Aus: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung – 12.11.2015