Mrz ‍‍2015 - תשעה / תשעו

Nissan – Endlich Frühling

Der erste Monat in der Tora, steht für die Befreiung – aber auch für die Selbstprüfung des Menschen
Im Talmud (Rosch Haschana, Blatt 11) lesen wir von einer Auseinandersetzung zwischen Rabbi Elieser und Rabbi Joschua. Rabbi Elieser sagte, dass die Welt im Monat Tischrei erschaffen wurde. Rabbi Joschua hingegen sagte, dies sei im Nissan geschehen. Wer hat recht?

An Rosch Haschana muss der Mensch Bilanz ziehen und sich fragen, ob er seine Pflichten gegenüber G’tt erfüllt hat oder nicht. Im Nissan dagegen steht der Mensch sich selbst gegenüber – und der sich immer wieder erneuernden Schöpfung. Nissan ist ein Frühlingsmonat. Im 5. Buch Mose 16,8 steht: »Achte auf den Frühlingsmonat, dass du in ihm das Überschreitungsopfer dem Ewigen, deinem G’tt, darbringst; denn im Frühlingsmonat hat der Ewige, Dein G’tt, dich in der Nacht aus Ägypten geführt.«

AUSZUG Der Maharal von Prag befasst sich in seinem BuchGwurot Haschem mit dem Auszug aus Ägypten und der damit verbundenen Geburt des Volkes Israels. In Kapitel 51 wird die Mazza behandelt. Dazu heißt es im 5. Buch Mose 16, 3: »Du darfst dabei nicht Gesäuertes essen. Sieben Tage sollst du dabei ungesäuerte Brote essen, Brot des Elends, denn in Eile bist du aus dem Lande Ägypten gezogen, auf dass du des Tages deines Auszuges aus dem Lande Ägypten gedenkst, alle Tage deines Lebens.«

Warum wird die Mazza »Lechem oni« (»Brot der Armut«) genannt? Mazza besteht nur aus Mehl und Wasser und hat keine weiteren Zusätze, also ein armes Brot. Der Maharal von Prag fragt, was denn der Sinn sei, wenn wir am Pessachseder der Befreiung gedenken und nur Mazza essen. Warum fügen wir ihr nicht noch weitere Zutaten hinzu? Warum machen wir aus der armen Mazza nicht eine reiche Mazza?

UNABHÄNGIGKEIT Es existieren Arme, die nichts besitzen, aber sie sind frei. Genauso gibt es Reiche, die fast alles besitzen, doch sind sie nicht frei. Der Weg zur Freiheit ist das Erlangen der Unabhängigkeit vom Materiellen. Das lehrt uns die Mazza, die nur aus Mehl und Wasser entstand. Deshalb sagt Rabbi Joschua, dass Nissan der erste Monat des jüdischen Kalenders ist – der erste, von dem aus gezählt werden soll, denn es ist ein Monat der Freiheit, und diese steht hier im Vordergrund.

Der Maharal bringt weitere Beweise dafür, dass Einfachheit für den Beginn steht: Der Kohen Hagadol, der Hohepriester im Tempel von Jerusalem, verrichtete seine Arbeit in einem goldenen Gewand. Doch einmal im Jahr, am Versöhnungstag, betrat er das Allerheiligste und musste dafür weiße Gewänder tragen. Die Befreiung von den geschmückten, goldenen Gewändern ließ den Geist des Hohepriesters frei werden und sich G’tt zum Gebet nähern.

Im 2. Buch Mose 12,18 steht: »Im ersten Monat am 14. Tag des Monats am Abend, sollt ihr ungesäuerte Brote essen …« Mazza essen wir, um uns an die Geschichte des Auszugs aus Ägypten zu erinnern, insbesondere an die knappe Zeit, die dem Volk Israel dazu zur Verfügung stand. Wo aber steht der Mensch im Mittelpunkt bei Rabbi Joschua?

ZEITNOT Wir essen Mazza heute auch in Erinnerung daran, dass das Volk keine Zeit beim Auszug hatte. Wir beschränken uns mit dem Essen an Pessach, um uns sowohl an die Geschichte als auch an die Zeitnot zu erinnern. Warum aber essen wir Mazza, wenn doch die Herstellung fast wie Brot ist? Jedoch beträgt die Herstellung von Mazza vom Zusammengeben von Mehl und Wasser bis hin zum Entnehmen aus dem Ofen 18 Minuten, um dem Säuerungsprozess entgegenzuwirken. Eine Sekunde länger, und es ist Gesäuertes.

Warum machen wir es uns also so schwer, was gewinnen wir? Was Mazza und was Chametz ist, entscheiden wir ganz allein. Mit der Beherrschung des Backtriebes ist der Mensch auch in der Lage, seine eigenen Triebe unter Kontrolle zu bekommen, und so rückt der Mensch ins Zentrum.

In der Tora ist der erste Monat der Monat Nissan, die Aufzählung der Monate beginnt jedoch mit dem Tischrei. Der Mensch soll g’ttesfürchtig sein, dafür steht der Tischrei. Aber er hat auch die freie Wahl, und dies symbolisiert der Monat Nissan – um sich selbst zu prüfen, für seine Werte zu arbeiten und dafür einzustehen. Und ist der Mensch mit sich selbst im Reinen, so bleibt ihm der Weg zu G’tt immer offen.

Aus: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung – 19.03.2015