Mrz ‍‍2021 - תשפא / תשפב

Moral

Der Ewige hat kein Interesse an Opfern von schlechten Menschen

Wajikra, das 3. Buch Mose, beschäftigt sich mit der rituellen Praxis des Judentums, vor allem mit dem Opferkult. Vieles davon ist für uns heute nur schwer zu verstehen, denn wir haben seit fast 2000 Jahren keinen Tempel und damit auch keinen Opferritus mehr. Außerdem sind viele Wochenabschnitte zugegebenermaßen auf den ersten Blick nicht sehr spannend und der Textinhalt mit den vielen Ritualdetails nicht besonders attraktiv. Leider übersehen wir dabei viele wichtige und zeitgemäße Botschaften und Lehren der Tora.

Eines der zentralen Themen des Opferkults ist nämlich die Nähe zu G’tt. Das hebräische Wort für Opfer, Korban, hat die Wurzel Kuf Rejsch Bet, was so viel wie »nahe« bedeutet. Das Konzept des Opferritus war es also, uns G’tt näherzubringen. Ich glaube, dass wir diesen spirituellen Aspekt nicht unterschätzen sollten, gerade in der heutigen Zeit, in der viele Menschen auf der Suche nach Spiritualität sind – mit teils eher fragwürdigen Mitteln.

SPIRITUALITÄT Der heutige Wochenabschnitt beschäftigt sich gerade mit dieser Spiritualität und den damit verbundenen ethisch-moralischen Bedingungen. Unsere Parascha wiederholt teilweise die Beschreibung der verschiedenen Arten der Opfer aus der Parascha, die wir vergangene Woche gelesen haben. Diesmal ist sie allerdings nicht allgemein gehalten und an das ganze Volk Israel gerichtet, sondern an die Kohanim, die Priester, und sie ist sehr viel detaillierter und praktischer.

Interessanterweise verbindet ein Midrasch den ersten Vers des heutigen Wochenabschnitts mit dem Ende des letzten Wochenabschnitts. Wir lesen in Tanchuma Jaschan Zaw: »›Gebiete Aharon und seinen Söhnen und sprich: Dies ist das Gebot der Brandopfer‹ (3. Buch Mose 6,2), sagte der Heilige, gepriesen sei Er: Beachte das, was vorher geschrieben wurde (…) Warum? ›Denn ich, der Ewige, liebe das Recht und hasse Raub beim Brandopfer‹« (Jeschajahu 61,8). Weiter heißt es: »Was wurde vorher geschrieben? ›Dann soll er, wenn er gesündigt und sich verschuldet hat, wiedergeben, was er mit Gewalt genommen oder mit Unrecht an sich gebracht (…) hatte‹ (3. Buch Mose 5,23). (…) Wenn du beabsichtigst, ein Opfer zu bringen, dann sollst du nichts von irgendjemandem stehlen (…). Wann werden deine Opfer angenommen? Wenn deine Hände vom Raub gereinigt sind.«

Der Midrasch macht also eine wichtige moralische Aussage in Verbindung mit den Themen des Raubs und des Brandopfers, speziell durch das Zitat des Propheten Jeschajahu: Das Opfer von jemandem, der in unehrliches Handeln verwickelt ist, taugt nichts und wird von G’tt nicht angenommen. Das ist die zentrale Botschaft des Propheten Jeschajahu und anderer Propheten, wie beispielsweise Hoschea, Amos und Jirmejahu.

In einer Zeit der sozialen Ungerechtigkeit und des Götzendienstes kritisierte Jeschajahu die Oberschicht scharf für deren Sünde und Korruption. Der Prophet verglich sie sogar mit Sodom und Gomorra. Bezüglich der gebrachten Opfer im Tempel sagte er: »›Höret des Ewigen Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren die Weisung unsres G’ttes, du Volk von Gomorra! Was soll mir die Menge eurer Opfer?‹, spricht der Ewige. ›Ich bin satt der Brandopfer von Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke‹« (1, 10–11).

Was Jeschajahu sagen will, ist, dass G’tt kein Interesse an Opfern hat, die von schlechten Menschen dargebracht werden, weil sie nicht wirklich das meinen und machen, für das die Opfer stehen. Sie sollen nicht denken, dass sie erst sündigen und sich dann einfach »freikaufen« können – mit einem Ritual, dessen Bedeutung sie gar nicht ernst nehmen.

GÖTZENDIENST Ganz ähnlich formuliert es auch der Prophet Jirmejahu: »Ihr seid Diebe, Mörder, Ehebrecher und Meineidige und opfert dem Baal und lauft fremden Göttern nach, die ihr nicht kennt. Und dann kommt ihr und tretet vor mich in diesem Hause, das nach meinem Namen genannt ist, und sprecht: Wir sind entbunden (von der Sünde) – und tut weiter solche Gräuel. Haltet ihr denn dies Haus, das nach meinem Namen genannt ist, für eine Räuberhöhle?« (7, 9–11).

Auch Jirmejahu verurteilt die Scheinheiligkeit der Oberschicht, die sündigt und sich nicht um die Benachteiligten in der Gesellschaft kümmert, aber gleichzeitig minutiös die Opfervorschriften befolgt. Der Prophet macht klar, dass solche Opfer eine Beleidigung G’ttes sind – und keine Vergebung der Sünden bewirken. Interessanterweise verwendet auch Jirmejahu das Wort »Räuber« im Zusammenhang mit den unehrlichen, abgewiesenen Opfern, genau wie der Midrasch.

BRANDOPFER Ein anderer Kommentar folgt einem ganz ähnlichen Gedanken. In dem gleichen Teil unseres Wochenabschnitts über das Brandopfer lesen wir, dass die Priester die Asche der Brandopfer an einen separaten Ort bringen und dafür die Kleidung wechseln müssen.

Rabbenu Bachja ben Ascher erklärt in seinem Tora-Kommentar: »Sogar für das Heben der Asche (…) trägt der Kohen gute, heilige Kleidung. Wir lernen daraus, dass alle religiösen Aufgaben (…) in würdiger Weise durchgeführt werden sollen (…) und dass wir bescheiden sein sollen zum Ruhm G’ttes.« Rabbenu Bachja lehrt uns also, dass wir nur Taten zur Verherrlichung G’ttes erfüllen können, wenn wir sie in würdiger Weise und – ganz wichtig! – bescheiden tun. Das bedeutet, wenn wir sie für G’tt und nicht zu unserem eigenen Vorteil machen und mit einem reinen Herzen, frei von Sünde.

Das ist eine wichtige Botschaft, auch heute noch. Das Judentum fordert beides: das Rituelle und das Ethische. Beides ist miteinander verbunden und voneinander abhängig. Eines der beiden zu ignorieren, bedeutet, die jüdische Tradition nicht voll zu beachten. Um es in modernen Beispielen zu erklären: Jemand, der den Armen gibt, aber nicht betet oder den Schabbat hält oder die Kaschrut, ignoriert einige der wichtigsten Rituale des Judentums. Andererseits: Jemand, der betet, den Schabbat hält und koscher isst, aber stiehlt, betrügt oder lügt, ist ebenso weit entfernt vom jüdischen Ideal. Nur die Einheit von Ritualen und Ethik erfasst die Ganzheit des Judentums.

Aus: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung – 10.03.2014