Jun ‍‍2013 - תשעג / תשעד

Gier nach Macht

CHARAKTER
Gier nach Macht
Was Korach motivierte, gegen Mosche, Aharon und den Ewigen zu rebellieren

Die Geschichte von Korach lässt mich dieses Jahr an die Brüder denken, die im April die Bombenanschläge auf den Boston-Marathon verübten. Die beiden rebellierten in ihrem Größenwahn ebenso sinnlos wie Korach gegen eine ihnen überlegene Macht. Sie vergossen unschuldiges Blut und meinten, ungestraft davonzukommen. Doch sie täuschten sich.

Unser Toraabschnitt beginnt mit einem Aufstand gegen Mosche, Aharon und G’tt. Er liest sich fast wie ein Hollywood-Szenario: Der Spionagebericht aus dem vorherigen Wochenabschnitt beunruhigt die Massen, sie zweifeln an Mosches Eignung als Anführer. Korach nutzt diese Situation aus, um zuzuschlagen. Doch wer war Korach? Was motivierte ihn zur Rebellion? Was war sein eigentliches Anliegen?

STRATEGIE Betrachten wir Korachs Strategie: Sein erster Schritt war es, jene im Volk wachzurütteln, die sich ungerecht behandelt fühlten. Dazu gehörten die Angehörigen des Stammes Ruven. Sowohl das Königsgeschlecht als auch die Priesterschaft sollte aus ihnen hervorkommen. Doch waren Ruven beide Privilegien von seinem Vater Jakow abgenommen und an Jehuda, Levi und Josef gegeben worden. Was also tat Korach? Er manipulierte die Obersten des Stammes Ruven und brachte sie dazu, sich seiner Rebellion anzuschließen.

Als Nächstes hatte er noch ein Argument, das er benutzte, als er vor versammelter Menge zu Mosche und Aharon sprach: »Ihr maßt euch zu viel an! Alle sind in der Gemeinde heilig, und unter ihnen ist der Ewige. Warum erhebt ihr euch über die Gemeinde des Ewigen?« (4. Buch Mose 16,3).

Der Kommentar von Raschi (1040–1105) zu dieser Beschwerde ist bemerkenswert: Sie haben zu viel Größe für sich beansprucht. Alle hörten die Worte am Sinai, die vom Himmel ausgingen. Wenn du das Königtum für dich selbst nimmst, hättest du nicht auch noch das Priestertum an deinen Bruder geben müssen. – Was wollte Korach mit diesen Worten erreichen?

Auf der einen Seite sagt er ja die altbekannte Wahrheit: Die ganze Nation stand am Berg Sinai, und diese Tatsache bildet die Grundlage für die Behauptung, dass jeder beliebige Mensch Anführer sein dürfte. Doch während dieses Argument sicherlich einleuchtend ist – und ihm vermutlich noch mehr Unterstützung vor allem aus dem gemeinen Volk bringt –, fördert es Anarchie.

Letztlich führt Korachs Argumentation auch zu dem Schluss, dass es eigentlich überhaupt keine Führung braucht und niemand über andere gestellt werden sollte. Oder vielleicht sollte die Führung auf einem Rotationsprinzip beruhen? Eine Nation von Genossen – alle einander gleichgestellt? Raschi sagt, dass Korach selbst nicht an die Wahrheit seiner Worte glaubte.

MACHT Es ist unklar, gegen wen sich Korachs Angriffe richten: gegen Mosche oder Aharon? Korach scheint andeuten zu wollen, dass man ihn an der Ehre teilhaben lassen solle. Er verhält sich wie die Opposition im Parlament. Sie kämpft gegen die Herrschenden, sucht Schwachstellen, kritisiert und erfindet manchmal sogar Lügen. Doch worum es ihr wirklich geht, ist genau das, worum es auch Korach geht: Er will an die Macht.

Er denkt, einen sinnvollen Weg gefunden zu haben, um sein Ziel zu erreichen: einen Angriff auf Aharon. Er ist das schwächere Glied, er ist an der Tragödie des Goldenen Kalbs schuld. Warum sollte er mit dem Priesteramt belohnt werden? Warum könnte nicht eine viel charismatischere Persönlichkeit diesen Platz einnehmen, einer wie er, Korach?

Die Midraschim sowie kabbalistische Auslegungen sind reich an Interpretationen, die Korachs Scheitern begreiflich machen. Eine dieser Sinndeutungen beschreibt Korach als äußerst wohlhabenden Mann (Talmud Jeruschalmi, Sanhedrin 27d). Es ist nicht ungewöhnlich, dass sehr reiche Männer auch an die Macht kommen wollen.

Andere Quellen, zum Beispiel Sefer Etzot Jescharot, zeigen im Namen unserer Weisen, dass Korach sich durch Mosche furchtbar gedemütigt fühlte, als er sich den Kopf rasieren musste während der Vorbereitung für seinen Dienst als Levit. Diese Erklärung ist naheliegend, denn die Wurzel des Namen Korach bedeutet »kahl«.

Auch gibt es einen Kommentar von Rabbi Jitzchak Luria, dem Ari (1534–1572), der einen Zusammenhang zwischen Korach und Kain herstellt, in Anspielung auf die blinde selbstzerstörerische Eifersucht, von der beide besessen waren. Spannend ist, dass in gewissem Sinne dieser erste Streit zwischen Kain und Abel dem Streit von Korach gar nicht so unähnlich ist: Es geht um die Frage, warum der andere besser ist als ich. So wie die Erde das vergossene Bruderblut schluckt, verschlingt sie auch Korach und seine Anhänger.

CHARAKTER Halten wir die vier Elemente fest, die wir in der Persönlichkeit Korachs bereits entdeckt haben: Eitelkeit, Größenwahn, Arroganz und Selbsttäuschung. Leicht erkennen wir sie in Menschen wieder, die Macht besitzen. Ob es nun die über die eigenen Familienmitglieder, über Angestellte oder die Macht eines Offiziers über die Soldaten ist: Höchste Vorsicht ist geboten, einen dieser Charakterzüge zu entwickeln.

Wir dürfen aber auch die Demagogie und Massenmanipulation in Korachs Argumenten nicht übersehen. Dennoch stellt sich die Frage: War Korach also ein vollkommener Bösewicht? Schließlich sagten unsere Weisen in Bamidbar Raba 18,3: »Korach war außerordentlich klug, und er gehörte zu den Trägern der Bundeslade.« Was führte diesen Mann in die Irre und erlaubte ihm, all diese schlechten Eigenschaften in seinem Charakter zu manifestieren?

Vielleicht können wir diese Frage leichter beantworten, wenn wir uns darüber Gedanken machen, warum Korach im Werben um Anhänger sehr erfolgreich war, in seiner Familie aber nicht. Die Tora berichtet später: »Die Söhne Korachs aber waren nicht umgekommen« (26,11).

Offenbar wollten Korachs Söhne ihrem Vater nicht folgen, sie teilten seine Ideen nicht. Sie trugen die Bundeslade mit Würde. Und die Psalmen 42, 44 bis 49, 84 bis 85 sowie 87 und 88 werden alle Korachs Nachkommen zugeschrieben. Auch lehrt uns der Midrasch, dass einer der berühmtesten Propheten, Schmuel HaNawi, ein Nachkomme Korachs war (Bamidbar Raba 18,15).

Vielleicht hat Korach geglaubt, dass er Mosche wegen seiner Nachkommenschaft überlegen war. Die Tora und die Midraschim erzählen nicht viel über Nachkommen von Mosche. Möglicherweise fühlte sich Korach auf der sicheren Seite, da er so besondere Nachkommen hatte. In dieser Hinsicht müssen wir ihm Recht geben. Seine Söhne waren sicherlich außergewöhnliche Menschen – allein schon, weil sie sich weigerten, ihrem Vater in seinem unrechten Handeln zu folgen. Korach muss ihre Größe gut gekannt haben, aber in seiner verdrehten Weise missbrauchte er ihre Heiligkeit, indem er damit seine Rebellion rechtfertigte. Seine Kinder widerstanden dem Druck des Vaters und blieben Mosche, Aharon und damit auch G’tt treu.

Korachs Fehler war, dass er annahm, die Führung müsse von Menschen mit außergewöhnlichem Denkvermögen übernommen werden, von Menschen, die reich sind oder in anderer Weise mächtig. Doch die jüdische Vorstellung von Führung ist, selbstlos Verantwortung für andere zu übernehmen, um tatsächlich ein würdiger und wahrhaftiger Vertreter G’ttes zu sein.