Nov ‍‍2009 - תשסט / תשע

Ganz der Alte

SCHMERZEN

Der dritte Tag seiner Beschneidung wird nun in der Parascha beschrieben. Der Tag, an dem die Schmerzen, wie auch im Midrasch besprochen, nach diesem Eingriff am stärksten sind, zeigt sich dem Betrachter ein ungewöhnliches Bild: Ein alter, greiser, sehr wohlhabender und bei seinen Mitmenschen sehr angesehener Mann, mit großen Schmerzen, sitzt bei besonders großer Mittagshitze vor seinem Zelt. »Und der Ewige erschien ihm in einem Eichenhain des Mamre, während er um die heiße Tageszeit am Eingang des Zeltes saß«, heißt es im 1. Buch Moses (18,1). Im zweiten Vers ist dann zu lesen: »Und er erhob seine Augen, da sah er drei Männer in der Nähe stehen. Und als er sie gewahrte, lief er ihnen vom Eingang des Zeltes entgegen und warf sich zur Erde nieder.« Später wird noch ausführlicher über den freundlichen Empfang der Gäste berichtet.

Ist das für uns Leser verständlich? Wäre es nicht angebrachter, sich im Schutze des Schattens aufzuhalten und nach all diesen Strapazen zu ruhen? Bei der Bezeichnung »Ke Chom ha Jom«, die heiße Tageszeit, verweist Raschi auf den Midrasch Bereschit Rabba: »Der Heilige, gelobt sei Er, ließ die Sonne aus ihrer Hülle heraustreten, um ihn nicht von Wanderern belästigen zu lassen.« G’tt selbst ließ die Sonne noch heißer werden, er wollte, dass sich Awraham ausruhen möge.

Awraham ängstigte sich sehr davor, dass seine Mitmenschen seine körperliche Veränderung auch als eine persönliche empfinden und folglich den Kontakt zu ihm abbrechen könnten. Dies trieb ihn dazu, gerade jetzt, den Kontakt zu seinen Nächsten zu suchen. Die vorbeiziehenden Wanderer sollten nicht ihn aufsuchen, sondern er erwartete sie bereits vor seinem Zelt. Mit seiner Haltung zeigte er, dass er sich als Person nicht geändert hat. Die Mizwa der Gastfreundschaft hatte an Wichtigkeit keinesfalls verloren. Im Gegenteil: Sie erreichte gerade in dieser Situation, in der sich Awraham nach seiner Brit befand, einen noch höheren Stellenwert.

BUND

Es gibt zwei Mizwot, die in der Tora als Brit, als Bund mit G’tt, erwähnt werden: Schabbat und Britmila. Das Wort Brit wird aber auch noch an anderen Stellen genannt. Der »Brit ha Keschet beAnan«, der Regenbogen nach der Sintflut als Zeichen eines Bundes zwischen G’tt und den Menschen. Die Gesetzestafeln heißen »Luchot haBrit«, sie stellen den ewigen Bund zwischen dem Volk Israel und G’tt dar.

Beim Schabbat und der Britmila handelt es sich um eine dauerhafte Verpflichtung des Menschen gegenüber G’tt. So wie der Schabbat ein stetiger und wiederkehrender Bund ist, gilt auch die Britmila als konstante Verbindung. Der Charakter des Schabbats ist die Unterscheidung, Trennung zwischen Werktag und Ruhetag. Der einer Britmila ist die Unterscheidung zwischen Beschnittenen und Unbeschnittenen. Das Volk Israel unterscheidet sich somit von anderen Völkern. Aber dieser Unterschied bedeutet nicht Trennung.

Dies sieht Awraham genauso. Er unterscheidet sich körperlich, jedoch seine Einstellung hat sich damit nicht geändert. Seine Bereitschaft, den Nächsten, egal welcher Hautfarbe und Herkunft in sein Heim zu lassen und ihn in die Geborgenheit seiner Familie aufzunehmen, ist geblieben. Er war es, der den Kontakt zu seinen Nächsten suchte. Auch wir haben den Bund mit G’tt und sollten bestrebt sein, im Sinne Awrahams zu handeln.

Der Autor ist Rabbiner der Jüdischen Gemeinde Duisburg – Mülheim – Oberhausen.