Jun ‍‍2021 - תשפא / תשפב

Führung und Loyalität

Was zeichnet Führerschaft aus? Eine Vielzahl von Kompetenzen, die Fähigkeit, Macht und Einfluss zu organisieren und auszuüben? Oder verfügt sie auch über eine wesentlich moralische Dimension? Kann ein schlechter Mensch ein guter Führer sein, oder beeinträchtigt seine Ehrlosigkeit auch seine Führerschaft? Das ist die Frage, die von der Schlüsselfigur unseres Wochenabschnitts aufgeworfen wird, dem heidnischen Propheten Bileam.

Zur Einführung: Wir haben unabhängige Belege dafür, dass Bileam tatsächlich existierte. Bei einer archäologischen Entdeckung im Jahr 1967 in Deir ’Alla an der Mündung von Jordan und Jabbok wurde eine Inschrift an der Wand eines heidnischen Tempels entdeckt, die auf das achte Jahrhundert v.u.Z. datiert wird und sich auf einen Seher namens Bileam Ben Beor bezieht. Der Text der Beschriftung bedient sich sprachlicher Begriffe, die denen in unserer Parascha bemerkenswert ähnlich sind. Bileam war eine namhafte Persönlichkeit in der Region.

Seine Fähigkeiten waren offenkundig beeindruckend. Er war ein religiöser Virtuose, ein namhafter Schamane, Zauberer und Wundertäter. Balak sagt aufgrund seiner Erfahrung oder seines Rufes: „Ich weiß, wen du segnest, der ist gesegnet, und wem du fluchst, der ist verflucht“ (Num. 22:6). In der rabbinischen Literatur wird dies nicht in Frage gestellt. Zu der Formulierung „In Israel ist kein Prophet erstanden wie Moses, den Gott von Angesicht zu Angesicht kannte“ (Deut. 34:10), gehen die Weisen so weit zu sagen: „In Israel gab es keinen anderen Propheten gleich Moses, aber unter den Völkern gab es einen. Wer war dies? Bileam.“[1]

Eine andere Midrasch-Quelle besagt: „Es gab nichts in der Welt, was der Heilige, gesegnet sei Er, nicht Bileam offenbart hätte, der selbst Moses in der Kunst der Zauberei übertraf.“[2]  Auf einer technischen Ebene besaß Bileam alle Fähigkeiten.

Und doch fällt das endgültige Urteil über Bileam negativ aus. In Kapitel 25 lesen wir vom bösen Nachspiel der Begebenheit mit den Flüchen/Segen. Die Israeliten, die von Gott vor dem drohenden Fluch der Moabiter und Midianiter gerettet worden waren, erlitten ironischerweise ein selbstverschuldetes Leid, als sie sich von den Frauen des Landes verführen ließen. Gottes Zorn entbrennt gegen sie. Einige Kapitel später (Num. 31:16) stellt sich heraus, dass es Bileam war, der diese Strategie ersonnen hatte: „Diese waren es ja, welche die Israeliten auf Anraten Bileams veranlassten, durch den Baal-Peor Treuebruch an Gott zu verüben, so dass eine Plage das Volk des Ewigen heimsuchte“. Nachdem es Bileam nicht gelungen war, die Israeliten zu verfluchen, gelang es ihm schließlich doch, ihnen großen Schaden zuzufügen.

Das Bild, das sich aus den jüdischen Quellen ergibt, ist also das einer Persönlichkeit mit großen Gaben, eines echten Propheten, eines Mannes, den die Weisen mit Moses selbst verglichen. Zugleich offenbart sich uns jedoch ein Mensch mit einem zutiefst fehlerhaften Charakter, der schließlich zu seinem Untergang und Ruf als Übeltäter führen würde. Bileam ist einer von jenen, denen laut der Mischna ein Anteil an der kommenden Welt verwehrt ist.[3]

Was genau war sein Makel? Es gibt viele Spekulationen. Eine im Talmud angeregte Erklärung leitet die Antwort aus seinem Namen ab: Was ist die Bedeutung des Namens Bileam? Der Talmud antwortet: „Ein Mann ohne Volk (belo Am).“ [4]

Eine feinsinnige Erkenntnis: Bileam ist ein Mann ohne Loyalitäten. Balak sandte ihm die Botschaft: „So komme denn, verfluche mir dieses Volk, denn es ist mir zu stark, vielleicht kann ich es dann schlagen und aus dem Lande treiben; denn ich weiß, wen du segnest, der ist gesegnet, und wem du fluchst, der ist verflucht“ (Num. 22:6). Bileam war ein Prophet zum Anheuern. Er besaß übernatürliche Kräfte. Wen immer er segnete, würde Erfolg haben. Wen immer er verfluchte, würde vom Unglück verfolgt werden. Aber es gibt in keinem der Berichte, weder in der Bibel noch sonst wo, einen Hinweis darauf, dass Bileam ein Prophet mit moralischem Verständnis war, dass es ihm um Gerechtigkeit ging und er das Recht und Unrecht derer im Sinn hatte, deren Leben er beeinflusste. Gleich einem Auftragsmörder späterer Zeiten war Bileam ein Einzelgänger. Seine Dienste standen zum Kauf frei. Er besaß Fähigkeiten und setzte sie mit verheerenden Auswirkungen ein. Er kannte jedoch keine Verbindlichkeiten, keine Loyalitäten, hatte keine Verwurzelung als Mensch unter Menschen. Er war der Mann belo Am, ohne ein Volk.

Moses war das genaue Gegenteil. Gott selbst sagt von ihm: „In meinem ganzen Hause hat er sich als treu erwiesen“ (Num. 12:7). Wie enttäuscht er auch immer von den Israeliten war, er hörte nie auf, ihre Sache vor Gott zu vertreten. Als seine anfängliche Intervention zu ihren Gunsten beim Pharao ihre Lage verschlimmerte, sagte er zu Gott: „O Herr, warum lässt du es diesem Volk so übel ergehen? Warum hast du mich denn gesandt?“ (Exod. 5:22).

Als die Israeliten das Goldene Kalb machten und Gott drohte, das Volk zu vernichten und mit Moses neu anzufangen, sagte er: „Wenn du ihnen doch ihre Sünde verzeihen wolltest. Wenn aber nicht, so tilge mich doch aus deinem Buch, das du geschrieben hast“ (Exod. 32:32). Als das Volk, durch den Bericht der Kundschafter demoralisiert, nach Ägypten zurückkehren wollte und Gottes Zorn gegen sie entbrannte, sagte er: „In deiner großen Liebe verzeihe doch die Schuld dieses Volkes, wie du von Ägypten an bis jetzt diesem Volk vergeben hast“ (Num. 14:19).

Als Gott während der Rebellion Korachs mit einer Strafe drohte, betete Moses: „Wirst du zornig sein über die ganze Gemeinde, wenn nur ein Mann sündigt?“ (Num. 16:22). Selbst als seine eigene Schwester Miriam schlecht über ihn sprach und mit Aussatz bestraft wurde, betete Moses für sie zu Gott: „Bitte, Gott, heile sie jetzt“ (Num. 12:13). Moses hörte nie auf, für sein Volk zu beten, egal, wie sehr es gesündigt hatte, egal, wie kühn das Gebet war, egal, wie sehr er dabei seine eigene Beziehung zu Gott aufs Spiel setzte. Obwohl er ihre Fehler kannte, blieb er ihnen gegenüber zutiefst loyal.

Das hebräische Wort Emuna wird gewöhnlich mit „Glaube“ übersetzt, und das ist es, was es im Mittelalter zu bedeuten begann. Aber im biblischen Hebräisch wird es besser mit Treue, Zuverlässigkeit, Loyalität übersetzt. Es bedeutet, den Freund in schwierigen Zeiten nicht zu verlassen, ihm die Treue zu halten. Es ist ein wesentlicher Aspekt von Bund und Vertrauen.

Es gibt Menschen mit großen Gaben, intellektuell und manchmal sogar spirituell, die trotzdem nicht das erreichen, was sie hätten erreichen können. Es fehlt ihnen an den grundlegenden moralischen Qualitäten der Integrität, Ehrlichkeit, Demut und vor allem der Loyalität. Was sie tun, tun sie brillant. Aber oft tun sie die falschen Dinge. Im Bewusstsein ihrer ungewöhnlichen Begabungen neigen sie dazu, auf andere herabzusehen. Sie verfallen dem Stolz, der Arroganz und dem Irrglauben, dass sie sich irgendwie auch große Verbrechen leisten können. Bileam ist das klassische Beispiel dafür. Die Tatsache, dass er plante, die Israeliten zur Sünde zu verführen, obwohl er wusste, dass Gott doch auf ihrer Seite war, zeigt, in welchem Maße der Größte manchmal zum Allerniedrigsten verkommen kann.

Diejenigen, die anderen Menschen gegenüber loyal sind, werden finden, dass andere ihnen ebenso die Treue halten. Denjenigen, die illoyal sind, wird schließlich misstraut und sie verlieren all die Autorität, die sie vielleicht einmal hatten. Führung ohne Loyalität ist keine Führung. Fähigkeiten allein können nicht die moralischen Qualitäten ersetzen, die Menschen inspirieren, denen zu folgen, die sie demonstrieren. Wir folgen Menschen, denen wir vertrauen, weil ihr Handeln unser Vertrauen verdient hat. Das war es, was Moses zu dem großen Anführer machte, der Bileam vielleicht hätte sein können, aber nie war. Seien Sie immer loyal zu den Menschen, die Sie führen.

[1] Sifrej Dewarim 357.

[2] Tanna Dewej Eliyahu Raba 28; siehe auch Bamidbar Raba 14:20; Berachot 7a; Awoda Sara 4a.

[3] Mishna Sanhedrin 10:2.

[4] Sanhedrin 105a.