Jun ‍‍2010 - תשע / תשעא

Das Fundament

Um die Juden zu verteidigen, hatte ihr Führer und Hohepriester, Schimon HaZaddik (der Gerechte), seine goldenen und leinenen priesterlichen Gewänder angelegt und ein Gefolge von Männern zusammengestellt. Sie trugen Fackeln und gingen hinaus in die Nacht, um Alexander zu grüßen, der sich Jerusalem näherte. Als Alexander Schimon HaZaddik erkannte, stieg der Kaiser von seinem Pferd und verbeugte sich vor dem Hohepriester. Alexanders Gefolgschaft fragte ihn, wie er sich als großer König vor einem Juden verneigen könne. „Das Bild dieses Mannes erscheint mir jede Nacht vor einer erfolgreichen Schlacht“, lautete seine Antwort.

Soweit die talmudische Erzählung. Außer in ihrer historischen Bedeutung kann die Geschichte auch symbolisch verstanden werden, weil die zwei Hauptfiguren als Metaphern für die Philosophien stehen, die sie vertreten.

Es ist bekannt, dass Alexander der Große ein Schüler von Aristoteles war. Alexander selbst war ein Beispiel an Energie. Ein Mann, der die zivilisierte Welt eroberte und außergewöhnliche militärische Stärke entwickelte. Sein Lehrer, Aristoteles, wird im Allgemeinen als einer der klügsten Menschen betrachtet, dessen Philosophien sich weltweit verbreitet haben und fast universelle Akzeptanz fanden. Alexander symbolisiert metaphorisch diese zwei Ideale: Wissen und Macht.

In dieser Episode hat sich Alexander der Große vor Schimon HaZaddik verbeugt und seine Unterwürfigkeit demonstriert. Der große Eroberer wurde von anderen erobert. Alexander gab zu, dass Schimon HaZaddik größer ist als er, dass das, wofür er steht, besser ist, wahrhaftig und ewig.

Die Geschichte hat es bewiesen: Die Lehren von Aristoteles, obwohl immer noch geachtet, gelten nicht mehr als richtig. Und das antike Griechenland existiert nicht mehr. Aber die Nachkommen von Schimon HaZaddik leben weiterhin die Wahrheit, für die er stand. Die Juden sind am Leben, wir lernen immer noch Tora.

Was ist der Unterschied zwischen Aristoteles und uns? Schimon HaZaddik lebte zu einer Zeit, als zwei große Ideale –menschliche Macht und menschliches Wissen – dominant waren. Im antiken Griechenland galt, dass in einem „gesunden Körper ein gesunder Geist“ sei. Zwei Dinge, die noch heute häufig als Ideal, Gipfel der Vollendung und höchster Wert betrachtet werden.

Schimon HaZaddik lebte zu dieser Zeit und war für uns Zeuge, dass dies nicht wirksam oder ewig ist – nur Gott ist mächtig, ewig und weise. Durch unsere Verbindung zu ihm können auch wir diese Eigenschaften erwerben.

Wie kann das erreicht werden? Schimon HaZaddik erklärt uns im Talmud, in den Sprüchen der Väter: „Auf drei Dingen steht die Welt – auf der Tora, auf Gottesdienst und auf guten Taten.“ Durch diese drei Dinge wird die Welt aufrechterhalten. 
Was sind diese drei Dinge? Tora – das steht für das Lernen der Tora, des Talmuds und der rabbinischen Schriften. Gottesdienst, so erklären unsere Weisen, bezieht sich auf zweierlei: das Gebet und die Opfergaben im Beit HaMikdasch, dem Heiligen Tempel. Es geht um gute Taten, selbstlose Taten der Güte.

Welche Welt wird durch diese drei Dinge aufrecht erhalten? Nicht der Planet Erde, aber die individuelle Welt jeder einzelnen Person. So erklären uns die Rabbiner: Jeder Einzelne ist eine kleine Welt.

Warum sind es genau diese drei Dinge, die Schimon HaZaddik als Attribute nennt, die die Welt einer Person erhalten? Dazu gibt einige Antworten. Eine ist, dass diese drei Attribute die drei Fähigkeiten des Menschen – Denken, Sprechen und Handeln – reinigen und vervollkommnen. Das Lernen der Tora fordert vom Verstand eine dauernde Konzentration auf ihre heiligen Wörter, was die Gedanken des Menschen reinigt. Das Beten zu Gott reinigt unsere Sprache, da die Worte der Heiligkeit den Mund beeinflussen. Regelmäßige gute Taten vervollkommnen die Handlungen einer Person. 

Ein Mensch muss auf allen drei Ebenen vollkommen werden – in Gedanken, Sprache und Handlungen –, um sich und seine Aufgabe in dieser Welt zu erfüllen und um sich seinen eigenen Platz in der nächsten Welt zu schaffen.

Diese drei Attribute reinigen auch die Beziehung einer Person zu sich selbst, zu Gott und anderen Menschen.

Das Lernen der Tora ist eine Tätigkeit, die meistens „bein adam leazmo“ stattfindet, zwischen einem anderen Menschen und sich selbst. Es perfektioniert den Schüler, macht ihn besser, größer, frommer. Dies klingt nicht plausibel und man kann es nicht glauben, solange man es nicht selbst erlebt hat. Ich habe es selbst gesehen und erlebt.
Gottesdienst durch das Gebet und die Opfergabe ist hauptsächlich „bein adam lemakom“, Handlungen, die die Verbindung zwischen Mensch und Gott verbessern. Gute Taten finden hauptsächlich „bein adam lechawero“ statt, zwischen einem Mann und seinem Freund, und verstärken und binden eine Person an andere Menschen. Indem man sich auf diese drei Attribute konzentriert, schafft man ein gesundes Verhältnis in allen seinen Interaktionen – mit sich selbst, mit Gott und mit anderen Menschen.

Es ist interessant zu bemerken, dass wir in der Geschichte des jüdischen Volkes diese drei Attribute in unseren drei Vorvätern finden, die die DNA unserer Nation generiert haben. Abraham steht für unvergleichlich gute Taten. Er hatte ein offenes Haus und lief buchstäblich, um Güte zu tun (1. Buch Moses 18, 1). Yitzhak repräsentiert den Gottesdienst. Er war bereit, sich selbst zu opfern, und er sprach mit Gott im Gebet (1. Buch Moses 24, 63). Jaakow steht für die Tora. Die Bibel nennt ihn einen „Mann der Einfachheit, verweilend in den Zelten“ (1. Buch Moses 25, 27), was auf das ständige Studium der Tora hinweist (Raschi 28, 11). Je weiter wir uns also diesen drei Attributen nähern, desto näher können wir unseren Vorvätern und unseren eigenen Wurzeln kommen. Die Werte von Aristoteles sind flüchtig, aber die Werte, die uns unser ewiger Gott gab, sind die, auf denen „die Welt steht“. Sie sind ewig.

Der Autor ist ehemaliger Student des Berliner Lauder Beit Midrasch, seit Juni 2006 Direktor des Tora-Zentrums in Leipzig.

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