Mrz 2007

Thorarolle erinnert an Paul Spiegel ()

Israels Oberrabbiner kamen zum Fest nach Berlin-Charlottenburg

Von KNA-Mitarbeiterin Susanna Krügener

Berlin (KNA) Im Schatten der staatlichen Feiern zum EU-Jubiläum, dem 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge, hat die orthodoxe Jüdische Gemeinde zu Berlin einen besonderen Tag begangen. Auf dem Programm in der Synagoge im Berliner Stadtteil Charlottenburg stand an diesem Sonntag das nicht alltägliche Ereignis der „Beendigung des Schreibens der Thorarolle“.

Gestiftet haben dieses eigens in Israel angefertigte Dokument, das die ersten fünf Bücher der jüdischen Heiligen Schrift beinhaltet, der Zentralrat der Juden in Deutschland und die Orthodoxe Rabbinerkonferenz Deutschland zum Gedenken an Paul Spiegel, der ab dem Jahr 2000 bis zu seinem Tod am 30. April 2006 als Nachfolger von Ignatz Bubis an der Spitze des Zentralrates stand.

Hochrangige Gäste konnte der Berliner Rabbiner Yithak Ehrenberg zu diesem Fest in der Synagoge in der Joachimsthaler Straße begrüßen. Die heutige Zentralrats-Präsidentin Charlotte Knobloch war ebenso gekommen wie Mitglieder der Familie Spiegel. Aus Israel angereist waren Schlomo Amar, der sephardische, und Yona Metzger, der aschkenasische Oberrabbiner. Beide wollten sich nach eigenem Bekunden persönlich davon überzeugen, dass es wieder jüdisches Leben in Deutschland gebe. Beeindruckt zeigten sie sich über die Information, dass dem Zentralrat der Juden in Deutschland heute wieder 102 Gemeinden mit insgesamt rund 105.000 Mitgliedern angehören. „Ich glaube, es ist ein historisches Zeichen, die Thorarolle hier zu empfangen. Hier, wo einst die erste Adresse der Kristallnacht war“, äußerte sich Metzger sichtlich bewegt. Die versammelte Gemeinde und vor allem die Jugend rief er auf: „Geht in die Synagoge, am besten täglich! Mindestens aber an jedem Schabbat!“

Das „Sijum Ktiwat Sefer Thora“, die Beendigung des Schreibens der Thorarolle, komme nicht alle Tage vor, hob Rabbiner Ehrenberg das Besondere dieses Tages hervor. Gemäß jüdischer Tradition wird eine Thora-Rolle dadurch eingesetzt, dass in einer feierlichen religiösen Zeremonie die letzten zwölf Buchstaben des 5. Buchs Mose unter das kostbare Dokument gesetzt werden. „Die Schriften des Mose begleiten uns Juden seit 3.300 Jahren, erklärte Ehrenberg der versammelten Gemeinde und den geladenen Gästen.

Jeder Buchstabe der Thora stehe für einen Juden. Damit habe jeder einzelne Jude seinen festen Platz, „damit hat er aber auch eine Verantwortung für das Ganze“. Jede Rolle, so der Rabbiner weiter, sei „die hundertprozentig genaue Abschrift einer anderen anerkannten Thorarolle. Eine Thorarolle darf nicht von einer Druckerei gemacht werden, sie muss von Menschen geschrieben werden. Und zwar vollkommen fehlerlos! Ein einziger Fehler, nur ein fehlender Buchstabe, und die Rolle ist nicht mehr koscher“.

Den ehemaligen Zentralrats-Präsidenten Paul Spiegel würdigte Abraham Lehrer, Vorstandsmitglied der Synagogen-Gemeinde Köln.

Dieser habe die Grundlage geschaffen, um Brüder und Schwestern zum Judentum zurückzuführen, sagte er und nannte es eine „wunderschöne Idee der orthodoxen Rabbinerkonferenz“, für Spiegel diese Thorarolle anfertigen zu lassen und sie der Jugend zu widmen. „Paul Spiegel war für uns alle ein sehr wichtiger Mensch, mit einem offen Ohr für die Probleme und Sorgen seiner Mitmenschen. Und er war stets sehr engagiert, was die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen angeht“, erinnerte Lehrer. In dessen Amtszeit fielen unter anderem im Januar 2003 die Unterzeichnung des ersten Staatsvertrages zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Bundesregierung sowie der erste Besuch eines israelischen Staatspräsidenten bei einer deutschen Synagogen-Eröffnung auf deutschem Boden.

Der Zeremonie mussten alle Frauen, auch die Zentralrats-Präsidentin Knobloch und Gisele Spiegel, die Witwe von Paul Spiegel, von einem durch ein Gitter von der übrigen Synagoge abgetrennten Bereich mitverfolgen. „Das ist wohl etwas gewöhnungsbedürftig, aber nur für den, der es nicht kennt“, erklärte Manuela Bleiberg, Inhaberin eines jüdischen Restaurants.

„Es steht nun mal so geschrieben, und damit ist es für uns auch in Ordnung“, so die Gastronomin, die sich dann auch gleich wieder in ihr Lokal begeben musste, um sich um das koschere Buffet zu kümmern, das sie nach der religiösen Feier servieren sollte.

mit/ast