Dez 2006

Am Ruhetag ist der Mensch König ()

von Daniel Gehrmann

Wenn am Freitag um 16 Uhr der höchste jüdische Feiertag beginnt, muss alle Arbeit getan sein.

13.40 Wie ein Bollwerk liegt die Westfassade der Synagoge Roonstraße in der Sonne. Sie ist wie der ursprüngliche Bau von 1899 in die Straßenzeile integriert. Das 1938 in der „Reichskristallnacht“ zerstörte Gebäude wurde Ende der 50er Jahre wiedererrichtet. Die Silhouette in der Mitte erinnert an eine Kirche, der Davidstern auf der Spitze des viereckigen Dachs aber zeigt, dass es sich um ein jüdisches Gebetshaus handelt. Es beherbergt die orthodox geführte Synagogen-Gemeinde Köln.

An diesem Freitag kauft Rabbiner Netanel Teitelbaum spät ein. Bei „Okeanik“ in der Marktstraße wird die Dorade für ihn direkt aus der Lieferkiste geholt, wo sie nicht neben unkoscherem Fisch gelegen hat. Dann geht es noch zu „haMason“, einem koscheren Laden in der Weyerstraße. Hier trifft Teitelbaum Mosche Ansellem, den er für den Abend einlädt. Es ist Brauch, den Schabbat mit Gästen zu feiern.

Unterwegs klingelt Teitelbaums Handy. Sein Vater ruft aus Israel an. „Bei uns Juden ist es Brauch, dass ein Vater am Schabbat seine Kinder segnet“, erklärt der Rabbiner.

15.20 Teitelbaums Frau Nurit bereitet die Dorade zu. Ihre Küche ist doppelt eingerichtet: „Die linke Zeile ist nur für Fleisch, die rechte nur für Milch, weil man beides nicht zusammen kochen darf“, erklärt sie. „Fisch kann man zubereiten, wo man will.“ Sie schiebt die Speisen in den Backofen. Wenn um 16 Uhr der Schabbat beginnt, muss alle Arbeit getan sein. Netanel Teitelbaum erklärt, warum der Schabbat der höchste Feiertag der Juden ist. Es ist der einzige Tag, den Gott selbst gesetzt hat: „An diesem Ruhetag ist der Mensch König. Selbst der meistbeschäftigte Jude besinnt sich auf das, was er ist. Mit dem Schabbat zeigt er, dass er eine Seele hat.“ Ausnahmen gibt es: So bringt man Kranke auch am Schabbat ins Krankenhaus.

Dann erzählt Teitelbaum, wie er mit 24 Jahren hierher kam. „Das verdanke ich meiner Frau. Sie hat gesagt: »Lass uns nach Deutschland gehen und den jüdischen Gemeinden dort beistehen.« Ich habe an mein Volk in der Welt gedacht und kam mit einer Botschaft: Hier gibt es Menschen jüdischen Glaubens.“

16.35 Der Gottesdienst hat begonnen. Wenn die ersten drei Sterne am Himmel erscheinen, bricht nach jüdischem Kalender der neue Tag an. Der Text der Liturgie steht im Gebetbuch in Hebräisch und Deutsch. Seit einigen Jahren gibt es auch Exemplare mit russischer Übersetzung. Mindestens 4000 der etwa 5000 Mitglieder der Kölner Synagogengemeinde kommen aus der ehemaligen Sowjetunion. „Sie haben eine große Bedeutung für die Zukunft unserer Gemeinde“, sagt Harry Farkas. Er ist Sohn eines Rabbiners, wuchs in Prag auf und kam 1969 nach Köln. Daher weiß er, dass die Zugewanderten aus ihrer Heimat zum Teil andere Bräuche kennen. „Grundsätzlich ist man als Jude verpflichtet, die Bräuche einzuhalten, die man in der Kindheit gelernt hat“, sagt Farkas. „Aber genauso ist man gehalten, sich anzupassen, wenn man sich einer neuen Gemeinde anschließt.“

An diesem Abend haben sich etwa 40 Männer unten im Saal versammelt. Die Frauen haben ihren Platz auf der Empore. „In orthodoxen Gemeinden sind Männer und Frauen in der Synagoge getrennt“, sagt Farkas.

17.35 Die Wohnung der Teitelbaums auf der Rückseite der Synagoge ist erfüllt vom Duft der Speisen. Zur Feier des Schabbat sitzt der Rabbiner mit seiner Frau, den drei Töchtern Shirya (8), Hodaya (5) und Daphna (3) am festlich gedeckten Tisch. An diesem Abend sind ein junges Ehepaar und Mosche Ansellem zu Besuch. Vier Gänge gibt es: Brot und Salat, eine Kartoffelpastete, eine Hühnersuppe und den Fisch. Zwischen zwei Gängen singt Rabbiner Teitelbaum mit seiner volltönenden Bassstimme. Singen gehört zum Schabbat wie die Liturgie, das Gebet und das gemeinsame Essen.

20.08 Gegenüber der Synagoge hält eine Polizeistreife. Die Besatzung fährt regelmäßig Patrouille und wird in dieser Nacht noch mehrfach vorbei- schauen. Die Synagoge zählt wie das Amerikahaus zu den Objekten mit einer besonderen Sicherheitsstufe.

23.30 Nach dem Abendessen hat der Rabbiner in seiner Wohnung noch Gespräche mit Gemeindemitgliedern geführt. Bis nach 22 Uhr. „Das hat länger gedauert als erwartet.“ Bevor er zu Bett geht, bereitet er sich noch auf die Gebete des nächsten Tages vor.

9.30 Die Schabbat-Liturgie beginnt. Eine Stunde später sind kaum mehr als zwei Dutzend Männer und noch einmal so viele Frauen da. Nach und nach treffen weitere Gemeindemitglieder ein. Viele holen für sich die wichtigsten Gebete nach, die sie verpasst haben. In einer feierlichen Zeremonie wird die Thora durch die Synagoge getragen. Jeder berührt die Samthülle mit den Fäden an seinem Gebetsschal. Dann wandern die Gemeindemitglieder durch die Synagoge, um einander mit einem „Schabbat Schalom“ („Einen friedvollen Schabbat“) die Hand zu schütteln.

12.00 Zu Mittag gibt es bei Teitelbaums wieder ein Festmahl. Diesmal sind Ronald Graetz vom Vorstand der Synagogen-Gemeinde, ein Ehepaar in mittleren Jahren und Harry Farkas zu Gast. Nach dem Brot reicht Nurit Teitelbaum Kohlrouladen und Salat. Danach gibt es Lammfleisch in Rotwein gegart, dazu einen Eintopf und Nudeln. Zum Abschluss singen alle noch ein Dankgebet.

14.00 Rabbiner Teitelbaum verabschiedet seine Gäste herzlich. Ehe wir die Synagoge verlassen, zeigt mir Harry Farkas noch die Ausstellung unten im Korridor. Die Geschichte der Juden in Köln beginnt 321 und wäre mit der Schoah fast vernichtet worden. „Wissen Sie, wem die Synagoge ihren Wiederaufbau verdankt?“, fragt Farkas. „Konrad Adenauer. Als die Gemeinde das Grundstück mit der Ruine Ende der 50er Jahre verkaufen wollte, hat er das Geld besorgt.“