Aug ‍‍2019 - תשעט / תשף

Stellungnahme

zu den Äußerungen von Hans-Jürgen Abromeit, Bischof im Sprengel Mecklenburg und Pommern der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland

HIer können Sie sich die Stellungnahme als pdf herunterladen:2019-08-07 Stellungnahme der ORD zu den Aussagen von BIschof Hans-Jürgen Abromeit

Im Rahmen seines Vortrags zum Thema „Zwei Völker – ein Land. Eine biblische Vision für Frieden zwischen Israel und Palästina“ am 1. August auf der Jahreskonferenz der Deutschen Evangelischen Allianz in Bad Blankenburg.

Wir sind tief bestürzt und erschüttert über die ungeheuerlichen Äußerungen von Bischof Abromeit, die sowohl in seinen theologischen als auch in seinen politischen Aussagen vielem widerspricht, was der christlich-jüdische Dialog über Jahre und Jahrzehnte mühselig als Konsens zum Thema Land und Staat Israel erarbeitet hat. Seine Positionen führen zu keiner Lösung des Nahostkonflikts, sondern fördern den Hass auf Israel und erschweren christlich-jüdische Dialogbemühungen in Deutschland.

Deutsche Überidentifikation mit dem Staat Israel?
Laut Abromeit resultiert aus dem Schuldbewusstsein der Deutschen infolge des Holocausts eine Überidentifikation mit dem Staat Israel und er folgert sowohl aus dem Eintreten für die Sicherheit des Staates Israels als auch das Verständnis des Staates Israel als jüdischer Staat „prinzipiell die Benachteiligung der Palästinenser und eine Zurücksetzung ihrer berechtigten Sicherheitsinteressen“. Das ist eine völlig absurde Argumentation. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass es weder gesellschaftlich, noch medial eine „Überidentifikation mit dem Staat Israel“ in Deutschland gibt. Ganz im Gegenteil. Studien der Bundeszentrale für politische Bildung (2002) oder von der TU Berlin (2014) kommen bspw. zu dem Ergebnis, dass in den deutschen Medien kein Land so oft kritisiert wird wie Israel und oft visuell ein Täter/Opfer-Schema gezeigt wird – mit Israel als Täter. Dieses Bild bekräftigt Abromeit mit seiner Darstellung Israels als gewalttätigen Aggressor, mit dem jeder Frieden unmöglich sei. Warum die Sicherheit eines Landes automatisch eine Benachteiligung für andere sein soll, bleibt schleierhaft. Wird Frankreich Benachteiligt, weil Deutschland für seine Sicherheit eintritt? Werden Minderheiten in Deutschland benachteiligt, weil der Staat sich für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger einsetzt?

Politik und Religion
Völlig abstrus wird Abromeits Argumentation beim Thema Politik und Religion. Erst spricht er sich gegen eine Vermischung der theologischen und politischen Ebene aus. Dann bemängelt er, dass der politische Zionismus nicht religiös sei, um dann wiederum zu kritisieren, wie in Israel eine religiöse Aufladung des Handelns stattfinde, während sonst weltweit versucht werde, zwischen der Sphäre der Politik und der Religion zu unterscheiden. Das gelte für die Politik des Staates Israel, etwa in der Siedlungspolitik, nicht. Kurioserweise vermischt er dann aber selbst theologische und politische Forderungen, indem er „biblische Hoffnungen in Politik“ umdenken will: „Ich finde sie in der Botschaft der Propheten und Jesu.“ Allerdings in einem sehr eigenen Verständnis. Bezogen auf Johannes 4, wo Jesus auf die Frage einer samaritischen Frau, warum die Juden Gott in Jerusalem anbeteten, antwortet, dass Gott Geist sei, schlussfolgert er: „Die direkte Anbindung an einen geografischen Ort wird von Jesus gelockert, sogar aufgelöst.“ Später kontrastiert er die Sicht der Torah („Ausrottung alles Nichtisraelischen“, also die jetzige Sicht der jüdischen Israelis und schlecht) mit den Propheten und der Botschaft Jesu („gemeinsames Wohnen im Lande“ und Gewaltlosigkeit, also die jetzige Sicht der christlichen Palästinenser und gut). Diese Behauptungen, dass das jüdische Volk keine Bindung an das Land Israel habe, und die Darstellung der Torah als voller Gewalt, ist aber Teil einer traditionellen antijüdischen Bibelauslegung und Theologie, die die Kirche eigentlich schon hinter sich gelassen hatte.

Die Synode der Nordelbischen Evangelisch-Lutherischen Kirche stellte in einer Erklärung vom 22.09.2001 fest, dass die Kirche durch antijüdische Bibelauslegung mitschuldig an der Feindseligkeit geworden ist und daher einen neuen Weg einschlagen will: „Wir wollen umkehren und einen neuen Weg suchen. Wir wollen überkommene Denkmuster, welche das Judentum verzerren, überwinden und falsche Auslegungen biblischer Texte revidieren. Christliche Verkündigung und Lehre dürfen nicht dem Antisemitismus Vorschub leisten. Wir wollen alles tun, um in unseren Gemeinden eine Haltung der Solidarität mit Jüdinnen und Juden zu stärken.“ Das will Abromeit offensichtlich nicht.

Dabei gibt es einige Stellen im Neuen Testament, die eine ganz andere Bewertung des Landes Israel ermöglichen, bspw. Apostelgeschichte 1. Solche Texte erwähnt Abromeit nicht. Der Synodalbeschluss der Rheinischen Kirche „Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden“ vom 11. Januar 1980 anerkennt, „dass die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes, seine Heimkehr in das Land der Verheißung und auch die Errichtung des Staates Israel Zeichen der Treue Gottes gegenüber seinem Volk sind.“ Damit erhält auch explizit der moderne Staat Israel – unabhängig von der politischen Dimension oder seiner Regierung – eine theologische Bedeutung. Mittlerweile gibt es diverse Papiere und Erklärungen, auf Ebene der EKD und auch auf landeskirchlicher Ebene, die feststellen, dass das Judentum unlösbare Bindung zum Land Israel hat. Dazu heißt es bspw. in der Orientierungshilfe der EKD „Gelobtes Land? – Land und Staat Israel in der Diskussion“ (2012) (S. 16): „Wir respektieren jüdisches Selbstverständnis, auch im Bezug auf das Land“ und „Wir bejahen das Existenzrecht Israels.“

Der „böse“ Zionismus
Die völlig einseitige und negative Beurteilung Israels spinnt Abromeit allerdings noch weiter. Den Zionismus reduziert er völlig kontextlos ins Negative und behauptete, dass Herzl von vornherein einen rein jüdischen Staat vor Augen gehabt und der Zionismus mit der Aussage „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ von Anfang an gelogen habe. Er rückt den Zionismus sogar in eine Kategorie mit den „völkischen Bewegungen“, die mit „ethnischen Säuberungen“ arbeiten. Diese Behauptungen sind nur völlig falsch, sondern auch erschreckend. Bereits mit der Unabhängigkeitserklärung von 1948 hat sich der Staat Israel auch an seine nichtjüdischen Einwohnerinnen und Einwohner gewandt und ihnen gleiche Rechte garantiert, so wie es heute auch im Staat Israel Realität ist. In Israel leben heute mehr als 25% Nichtjuden (Israel Central Bureau of Statistics).
Die Aussage „Ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land“ hat seinen Ursprung im christlichen Zionismus des 19. Jahrhunderts und wird immer wieder – fälschlicherweise – von Antizionisten herangezogen, um zu zeigen, wie ungerecht der Zionismus angeblich war oder dass Zionisten eine ethnische Säuberung planten. Diana Muir stellt fest: „Solche Behauptungen haben keinerlei Basis in den Fakten: Sie leugnen sowohl das Bewusstsein seitens der frühen Zionisten, dass es Araber in Palästina gab, als dass sie auch die Verschmelzung einer palästinensischen nationalen Identität übertreiben, die sich in Wirklichkeit erst in Reaktion auf die zionistische Einwanderung entwickelte. Ebenfalls unwahr ist, was viele Antizionisten immer noch behaupten: dass die frühen Zionisten den Satz weithin anwandten.“ (Diana Muir, Middle East Quarterly, Frühjahr 2008).

Kein Frieden für Israel?
Für einen Vortrag über Friedensvisionen überraschend hält Abromeit die Zwei-Staaten-Lösung für „realpolitisch faktisch ausgeschlossen“. Auch wenn sie von allen westlichen Regierungen und offiziell auch vom Staat Israel hochgehalten werde, wüssten alle, dass sie nicht machbar sei. Schuld daran, laut Abromeit, auch wiederum Israel, denn dafür müsste die israelische Regierung etwa eine Million jüdischer Bürger umsiedeln, was sie nicht mache. Stattdessen schlägt er eine Ein-Staaten-Lösung vor, auch wenn die Zahl der Palästinenser in absehbarer Zeit größer sein würde als die der jüdischen Israelis. Der Zwei-Staaten-Lösung so klar eine Absage zu erteilen, erstaunt. Nicht nur, dass sie bisher von den Kirchen, der Bundesregierung und der EU als Wunschlösung gilt, es stellt sich die Frage, wie er dazu kommt. Sollen wir als religiöse Vertreter in Deutschland nun bestimmen und vorschreiben, welche Lösungen die Nahostkonfliktparteien anzunehmen haben? Das ist völlig abwegig und realitätsfern. Es zeigt sich allerdings schnell, welche Überzeugung dahintersteckt: die Auflösung des jüdischen Staates. Für Abromeit, das ist das Tragische, kann wohl ein jüdischer Staat nie demokratisch sein und damit automatisch eben ein demokratischer Staat nicht jüdisch. Er unterschlägt dabei, dass der Terminus „jüdischer Staat“ ein Grundprägung beschreibt und nicht die ethnische Zusammensetzung oder die politische Agenda. Viele Länder Westeuropas und auch die USA sehen sich als christliche oder christlich geprägte Länder. In deutschen Ministerien finden sich Weihnachtsbäume und Osterschmuck. Unsere Regierungspartei hat „christlich“ im Namen. Das bedeutet nicht automatisch, dass Deutschland nicht demokratisch sein kann oder keine Religionsfreiheit garantiert.
Abromeit hantiert auch mit utopischen Zahlen: woher nimmt er die eine Million Israelis, die für ein Friedensabkommen umgesiedelt werden müssten? Laut CIA World Factbook lebten 2016 ca. 391.000 Israelis in der Westbank. Aber selbst das bedeutet nicht automatisch, dass bei einer Zwei-Staaten-Lösung alle umgesiedelt werden müssten. Wie frühere Friedensverhandlungen gezeigt haben, ist auch ein Landtausch eine Option, bei der grenznahe Siedlungsblöcke israelisch bleiben könnten. Die allermeisten Siedler wohnen nahe der „grünen Linie“.

Fazit
Bischof Abromeit widerspricht diametral den Positionen seiner eigenen Kirche. Wir begrüßen, dass sich die Kirchenleitung der Nordkirche von den Aussagen Abromeits klar distanziert hat und ausdrücklich und uneingeschränkt das Existenzrecht und die Sicherheit Israels bejaht und unterstützt.

Wir stellen fest, dass seine ganze Argumentation völlig einseitig zu Lasten Israels geht und der Zionismus auf das Allernegativste reduziert wird. Solch schematisches Täter/Opfer-Denken und einseitige Schuldzuschreibungen werden der Realität nicht gerecht und tragen sicherlich nicht zum Frieden bei. Statt Ablehnung von Friedensoptionen, sollten wir den Mut zum Frieden nicht verlieren und uns beharrlich für Verständigung, Ausgleich und Frieden im Nahen Osten einsetzen. Wir Rabbiner werden weiterhin kontinuierlich für Frieden in Israel und überall auf der Welt beten und hinarbeiten.