Aug ‍‍2015 - תשעה / תשעו

Schemittat Kessafim und Prosbul

Hier finden Sie einen Antrag an das BEit Din um einen Prosbul zu bekommen
2015-009-04 Antrag prusbul

prosbul

Unter den zahlreichen landwirtschaftlichen und sozialen Gesetzen der Tora ist die Schemitta – das Schabbatjahr – vielleicht das radikalste. Ein ganzes Jahr darf in Israel weder gesät noch geerntet werden. Was von alleine wächst, darf nicht beschützt werden, sondern alle Felder und Baumgärten müssen für alle offenstehen, damit arm und reich unmittelbar vom Baum und vom Feld sich ernähren können. Sogar Tiere sollen ungehindert vom Feld essen dürfen. Dadurch betont die Tora die grundlegende Gleichheit aller Menschen. „Was das Schabbatjahr des Landes bringt, sei euch zum Essen, für dich, deinen Knecht, deine Magd, den Tagelöhner und den Beisaßen, die bei dir weilen“ (3. B.M. 25:6): Alle ernähren sich gleich, ohne Rücksicht auf ihren sozioökonomischen Status.
Nach der Mechilta (2. B.M., Abschnitt Mischpatim, § 214), einem halachischen Midrasch, ist es Bestandteil dieser Mitzwa, dass man den Zaun rund um das Feld oder Baumgarten einfach niederreißt, damit alle frei hineingehen können.
Es gibt aber einen dritten Aspekt des Schabbatjahres, der noch radikaler ist, und sowohl in Israel als auch in der Diaspora gilt: Alle sieben Jahre gehen alle Juden im Verhältnis zueinander bankrott. So steht im 5. B.M. Kap. 15, 2ff.: Dies ist aber die Ordnung des Erlasses: Kein Schuldherr, der seinem Nächsten etwas geliehen hat, soll es von seinem Nächsten oder von seinem Bruder fordern; denn man hat einen Erlass (Schemitta) des Ewigen ausgerufen. Damit konnte jeder, der während der sechs Arbeitsjahre des Schemitta-Zyklus seine Schulden nicht begleichen konnte, während des Schemitta-Jahres nach Belieben von den Früchten der besten Bäume essen und sich erholen, um anschließend einen Neuanfang zu wagen. Die Aufhebung der Schulden heißt Schemittat Kessafim.
Bereits in der Agrargesellschaft der Ära des 1. Tempels fiel es den Gläubigern schwer, dieses Gesetz einzuhalten. Deshalb warnte die Tora auch (5. M. 15,9): „Hüte dich, den nichtswürdigen Gedanken in deinem Herzen zu hegen: Das siebente Jahr, das Erlassjahr, ist nahe – und nun blickt dein Auge böse auf deinen Bruder, den Dürftigen, und du gibst ihm nichts (…)“. Mit zunehmender Urbanisierung und ihrer Handelsökonomie zur Zeit des 2. Tempels sowie der Integration Israels in die griechisch-römische Welt mit all ihren Fehlern, Nachteilen und Mängeln kam es dazu, dass den Armen leider immer weniger Geld geliehen wurde, und sie sich deshalb immer seltener, und wenn, dann nur unter sehr schwierigen Bedingungen, aus ihren Elend befreien konnten. Das sah auch Hillel der Ältere – und suchte deshalb nach einer Möglichkeit, das Verbot der Einforderung von Schulden nach dem Schemitta-Jahr zu umgehen.
Wir kennen in der Halacha verschiedene „Umgehungen“, von denen manche geduldet, manche gar gepriesen, und andere wiederum verworfen werden. So ist es erlaubt, statt alles Chametz („Gesäuertes“: Brot, Teigwaren, Kekse, bestimmte Alkoholika usw.) vor Pessach zu beseitigen, es einem Nichtjuden zu verkaufen, dem man für diesen Zweck einen Raum vermietet, in dem das Chametz gelagert ist – mit der Absicht, alles nach Ablauf des Feiertages wieder zurückzukaufen. Was der Nichtjude aufgegessen oder ausgetrunken hat, wird verrechnet. Ansonsten aber bekommt man durch den Rückkauf nach Ende des Feiertags sein Chametz zurück. Während des Pessachfestes hatte man es aber nicht in Besitz – somit umging man das strenge Verbot, Chametz am Pessach zu besitzen.
Eine solche Umgehung heißt in der Halacha Haarama. Nicht alle Haaramot1 sind erlaubt. Damit eine Haarama gestattet ist, muss sie sich einerseits an den Buchstaben des Gesetzes halten, und darf andererseits den Geist des Gesetzes nicht verletzen. So ist der Chametz-Verkauf gestattet, weil wir uns dadurch eben doch während Pessach von unserem Chamez trennen (es darf nicht einfach zu Hause bleiben, sondern wird in Räumlichkeiten gelagert, die dem Käufer vermietet werden). Es ist beispielsweise auch erlaubt, mittels eines Investitionsvertrags namens „Heter Isska“. Zinsen aus einer Investition von einem anderen Juden zu bekommen (bzw. ihm diese zu zahlen), obwohl es allgemein verboten ist, dass Juden untereinander Zinsen für ein Darlehen verlangen oder bezahlen. Dies ist aber nur erlaubt, wenn dadurch der Geist des Gesetzes nicht verletzt wird. So darf man einen Heter Isska für eine wirtschaftlich rentable Finanzierung verwenden, nicht aber, um einem Armen Geld zu leihen, damit er den Aufenthalt im Krankenhaus bezahlen kann. Ein solches Darlehen soll er zinslos bekommen!

Entsprechend musste Hillel eine Umgehung finden, die weder das Gesetz, noch seinen Geist verletzte, damit der Geldhahn für die Armen und Bedürftigen (und damit für alle anderen) wieder geöffnet werden konnte. Das Gesetz schreibt lediglich vor, dass persönliche Schulden aufgehoben werden. Schulden allerdings, die wegen der Verordnung eines rabbinischen Gerichtshofs zustande kamen, werden durch Schemitta nicht aufgehoben. Nach den meisten Auffassungen ist die Verpflichtung, auch heute noch die Gesetze von Schemitta einzuhalten, ohnehin weniger streng als zur Zeit des 1. Tempels, weil gegenwärtig die Mehrheit der Juden noch immer außerhalb Israels lebt und unsere Zugehörigkeit zu den unterschiedlichen Stämmen Israels in Vergessenheit geraten ist.
Hillel und Schammai bekleideten die beiden höchsten Ämter im Volk Israel: Das Amt des Nassi, des Fürsten, und das des Vorsitzenden des Sanhedrin. Hillel war der Ansicht, dass es gesetzlich vertretbar wäre, die persönlichen Schulden dem Gerichtshof zur Verwaltung zu übertragen und die Gläubiger zu Vertretern des Gerichtshof zu machen, damit die Gläubiger die Schulden weiterhin bei den Schuldnern fordern dürften.
Hinzu kam, dass das Ganze nicht im Widerspruch zum Geist des Gesetzes stehen durfte. Ursprünglich sollten die Schulden tatsächlich aufgehoben werden, um den Armen einen Neuanfang zu ermöglichen. Wenn aber durch die Einhaltung des Gesetzes ausgerechnet die Armen überhaupt keine Kredite mehr erhalten, dann führt paradoxerweise ausgerechnet die Umgehung des Gesetzes zu einer Annäherung an dessen Geist. Deshalb befand Hillel, dass es unter den gegebenen Umständen gerade doch dem Geist des Gesetzes entspricht, es zu umgehen. Diese Umgehung heißt Prosbul.

Ein Prosbul ist ein Vertrag, der von drei bzw. zwei Personen unterschrieben wird, die ad hoc ein Bejt-Din vertreten. Diese Personen müssen weder Rabbiner noch Religionsbeamte sein. Im Prosbul, den sie unterschreiben, benennen sie drei Rabbiner, die zusammen das Bejt Din bilden, dem der Gläubiger, der im Prosbul namentlich genannt wird, seine Schulden zur Verwaltung übergibt, und bestätigen, dass der Gläubiger damit von seinen Schuldnern auch über das Schemitta-Jahr hinaus fordern darf, ihre Schulden zu begleichen.

Der Prosbul soll kurz vor dem Ende des Schemitta-Jahres aufgesetzt und unterschrieben werden. Nach einer Meinung soll dies bereits vor dem Anfang des Schemitta-Jahres geschehen, doch diese Meinung hat sich in der Halacha nicht durchgesetzt. Diejenigen, die diese Meinung trotzdem auch berücksichtigen wollen, können zweimal einen Prosbul erstellen lassen: Einmal vor Beginn des Schemitta-Jahres, und noch einmal kurz vor seinem Ende. Hat man versäumt, den ersten Prosbul zu erstellen, darf man sich auf den zweiten verlassen. Hat man aber versäumt, einen Prosbul vor Ende des Schemitta-Jahres zu erstellen, darf man nachher keine bereits bestehenden Schulden von jüdischen Schuldnern mehr einfordern.

Das Jahr 5775 ist ein Schemitta-Jahr, und man soll deshalb unbedingt vor Rosch Haschana 5776 einen Prosbul erstellen lassen. Es ist üblich, mindestens eine Schuld ausdrücklich aus dem Prosbul auszuschließen (dies darf mündlich geschehen), damit man diese Schuld nicht einfordern kann und man damit die Mitzwa ihrem Wortlaut nach erfüllt hat. Jeder Bedürftige wird Ihnen dafür dankbar sein.
1Plural von Haarama: Haaramot