Dez ‍‍2021 - תשפא / תשפב

Lichter der Hoffnung

Mitten in Pandemie und Dunkelheit: Das Fest könnte zu keinem besseren Zeitpunkt kommen

Es ist das zweite Mal, dass wir Chanukka inmitten der Corona-Pandemie feiern. Im vergangenen Jahr kam zusammen mit dem Chanukkalicht der Zuversicht auch die Nachricht von Impfstoffen, die Hoffnung auf ein baldiges Ende der vielen Einschränkungen und Bedrohungen in uns schürten.

In diesem Jahr hat man das Gefühl, dass die täglich zunehmende Dunkelheit eine mindestens ebenso tiefe und schwere Bedeutung hat, besonders, da die Zahl der Corona-Fälle bisher unbekannte Höhen erreicht hat und weiter ansteigt. Dunkelheit macht unsicher, sie erzeugt Angst und Panik, weil sie uns im wahrsten Sinne des Wortes der Fähigkeit beraubt, zu sehen und damit auch klar zu denken. Genau darum könnte Chanukka zu keinem besseren Zeitpunkt kommen. Denn für uns Juden ist dieses Fest seit jeher ein wirksames Gegenmittel im Kampf gegen die zunehmende Dunkelheit und Hoffnungslosigkeit.

WUNDER Es ist daher kein Zufall, dass unser Lichterfest genau dann stattfindet, wenn die Tage am kürzesten sind und die Dunkelheit am stärksten ist. Acht Nächte lang rezitieren wir Segenssprüche, singen Lieder und zünden Kerzen an, die jeder sehen soll, damit dadurch die Umgebung ein wenig heller und weniger trostlos wird. Schließlich ist Chanukka ein Fest der Wunder, die allen Widrigkeiten zum Trotz geschehen. Eine winzige Menge Öl hielt unglaubliche acht volle Tage.

Das macht Chanukka auch darüber hinaus zu einem Symbol der Hoffnung und der Widerstandsfähigkeit, selbst wenn die Hoffnung nur ein Schimmer ist, nur eine einzige Kerze, die in einer Welt zunehmender Dunkelheit hell brennt.

Die Helden der Chanukkageschichte sind natürlich die Makkabäer, denen es gelang, gegen ein mächtiges Weltreich zu siegen. Überraschenderweise erklärten sie diesen Sieg, nachdem sie lediglich Jerusalem und seine Umgebung befreit hatten. Es dauerte fast ein Jahrhundert, bis die Nachfahren der Makkabäer, die sogenannten Hasmonäer, einen selbstständigen jüdischen Staat errichteten. Die Makkabäer wussten, dass sie trotz ihres heroischen Sieges nicht in Siegestaumel verfallen konnten. Das Ziel war noch nicht erreicht.

KAMPF Die Lektion, dass dieser Krieg über einen längeren Zeitraum hinweg unermüdliche Aufmerksamkeit und Anstrengung erforderte, kann uns helfen, über den Kampf gegen das Virus nachzudenken. Die Impfstoffe sind eine wirklich gute Nachricht, aber das Ende der Pandemie ist noch nicht erreicht. So erinnern uns die 80 Jahre des Kampfes der Hasmonäer daran, dass wir weiterhin wachsam sein müssen, dass sich das Leben vielleicht noch lange Zeit als nicht »normal« anfühlen wird.

Die Hoffnung auf ein schnelles Ende dieser Pandemie ist verlockend, kann aber auch gefährlich sein. Aber das ist kein Grund, an den vielen tatsächlich nervigen Einschränkungen, die wir weiterhin auf uns nehmen müssen, zu verzweifeln und kein Licht am Ende des Tunnels zu vermuten.

Hoffnung ist selbst inmitten der Verzweiflung unerlässlich.

Erinnern wir uns daran, worin das Wunder des ersten Tages von Chanukka bestand. Es gab doch Öl genug für diesen einen Tag. Das eigentlich Bemerkenswerte an diesem ersten Tag war, dass die Makkabäer überhaupt nach dem Öl suchten. Warum taten sie das? Sie müssen fest daran geglaubt haben, dass etwas Wertvolles diese schlimme Tragödie überdauert hatte.

GLAUBE Das Wunder der ersten Nacht war das des Glaubens selbst, der Glaube, dass etwas das Volk in die Lage versetzen würde, neu zu beginnen. Das unerwartete und erstaunliche Ergebnis in einer Situation, die eine solche Hoffnung nicht rechtfertigt, ist in der Tat ein Wunder. Die Hoffnung ist selbst inmitten der Verzweiflung unerlässlich. Sie ist ein zutiefst jüdischer Ausdruck des unerschütterlichen Glaubens und der Widerstandsfähigkeit.

Eine der bekanntesten Debatten im Talmud (Schabbat 21b) ist die Meinungsverschiedenheit zwischen Beit Hillel und Beit Schammai über die ideale Art, die Chanukkakerzen anzuzünden. Nach Beit Schammai sollten wir am ersten Tag von Chanukka acht Kerzen anzünden und an jedem weiteren Tag eine Kerze weniger. Nach Beit Hillel sollten wir jedoch am ersten Tag von Chanukka eine Kerze anzünden und die Anzahl der Kerzen in jeder Nacht während der gesamten Dauer von Chanukka erhöhen.

Vielleicht spiegelt diese Debatte auch die Art und Weise wider, welche Perspektive wir zu aufbauenden Geschichten wie der des Chanukka-Wunders einnehmen. Sie ist unbestreitbar eine Quelle der Inspiration und im wahrsten Sinne des Lichtblicks. Nach Beit Schammai sind Momente der Inspiration genau das: Momente. Da die Inspiration mit der Zeit nachlässt, sollten wir laut Beit Schammai die Anzahl der Kerzen während Chanukka reduzieren, um dieses Nachlassen der Inspiration zu symbolisieren.

WACHSTUM Beit Hillel zufolge sind Momente der Inspiration jedoch Gelegenheiten für dauerhaftes Wachstum und zunehmende Gelegenheiten, um mehr Licht in die Welt zu bringen. Deshalb sagt Beit Hillel, dass wir die Anzahl der Kerzen während Chanukka erhöhen sollten.

Übertragen auf unsere Situation, erinnert mich das daran, was Rabbi Jonathan Sacks einst über schwierige Situationen sagte: »Es gibt immer zwei Wege, um in einer Welt zu leben, die dunkel und voller Tränen ist: Wir können die Dunkelheit verfluchen, oder wir können ein Licht anzünden.« Chanukka Sameach!

Aus: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung: 02.12.2021