Okt ‍‍2020 - תשף / תשפא

Der Monat Cheschwan

Religiöse Begriffe aus der Welt des Judentums

Im ersten Buch der Könige 6,38 steht geschrieben: »Und im elften Jahr, im Monat Bul, das ist der achte Monat, war das Haus fertig in all seinen Stücken, und nach all seinen Vorschriften, also baute er daran sieben Jahre.« Der Midrasch Tanchuma (Noach 17) erklärt uns, dass der Name des Monats Bul, in dem Schlomo den Tempel fertigbaute, von dem Wort Mabul, Sintflut, abgeleitet ist und dass mit dem achten Monat der Cheschwan gemeint ist. 

Denn im Cheschwan beginnt in Israel die Regenzeit. Und da die Menschen in dieser Zeit große Angst vor einer erneuten Sintflut hatten, gab sich Schlomo alle Mühe, den Tempelbau zeitig zu beenden, um dem Volk Sicherheit zu geben.

Die Zahl 7 ist ein Symbol für die Natur. Zum Beispiel hat die Tonleiter sieben Töne, und es gibt sieben Richtungen (oben, unten, rechts, links, vorwärts, rückwärts und die Mitte). Und selbstverständlich kennen wir diese Zahl aus der Tora: Der siebte Tag ist der Schabbat, und das siebte Jahr ist das Schmittajahr. Vor dem Cheschwan kommt Tischri, der siebte Monat. Da feiern wir unter anderem Sukkot, ein Fest der Natur, das sieben Tage dauert. 

EINKLANG Die Aufgabe des Menschen ist es, mit der Natur in Einklang zu leben, indem er die entsprechenden Mizwot erfüllt. Die Zahl 8, der Monat Cheschwan, ist ein Symbol, das über der Natur steht. Im 3. Buch Mose 9,1 lesen wir: »Am achten Tag aber rief Mosche Aharon, dessen Söhne und die Ältesten Israels.« Am achten Tag wurde das Stiftszelt eingeweiht. Es enthielt übernatürliche Dinge. 

Der Cheschwan ist eine fortgeschrittene Stufe, in der auch unnatürliche Dinge mit dem Glauben in Einklang stehen. So lesen wir im Midrasch Tanchuma einen Dialog zwischen Rabbi Akiwa und dem bösen Turnus Rufus. Der fragte Rabbi Akiwa: »Welche Taten haben einen höheren Stellenwert – G’ttes Taten oder die des Menschen?« Rabbi Akiwa antwortete: »Die des Menschen.« »Kann denn der Mensch einen Himmel und eine Erde erschaffen?«, fragte Turnus Rufus. »Dein Beispiel ist nicht relevant. Wir wissen, dass der Mensch nicht mit G’ttes Maß gemessen werden kann«, sagte Rabbi Akiwa. Daraufhin fragte Turnus Rufus: »Warum machen Juden eine Beschneidung?« (Hier müssen wir uns daran erinnern, dass die Brit Mila am achten Lebenstag eines Jungen vollzogen wird.) 

BRIT MILA Rabbi Akiwa sagte: »Ich wusste, dass du mich das fragen würdest, aber ich sage dir, dass die Taten des Menschen einen höheren Stellenwert besitzen.« Rabbi Akiwa brachte ihm Getreide und einen gebackenen Kuchen und fragte: »Ist er nicht schöner als das Korn?« Turnus Rufus antwortete mit einer Gegenfrage: »Wenn G’tt eine Beschneidung wünscht, warum kommt der Junge nicht schon beschnitten auf diese Welt?«

Daraufhin erwiderte Rabbi Akiwa: »Und warum muss nach seiner Geburt noch die Nabelschnur getrennt werden? Und auf deine Frage, warum er nicht beschnitten geboren wird, antworte ich dir: Dafür haben wir die Pflichten der Tora, die Mizwot, bekommen, um uns durch unsere Taten selbst zu heiligen.«

Der Maharal, Rabbi Löw von Prag (um 1520–1609), erklärt in seinem Buch Tiferet Israel, dass sich Turnus Rufus und Rabbi Akiwa darüber auseinandersetzten, ob die von G’tt erschaffene Welt bereits vollkommen sei oder nicht. Rabbi Akiwa sagt, die Welt sei nicht vollkommen, und verlangt die geistige Mitarbeit des Menschen. Turnus Rufus hingegen sieht in der Schöpfung die totale Vollständigkeit. 

BESCHNEIDUNG Für ihn ist die Beschneidung eine Art Zerstörung von etwas Vollendetem. Rabbi Akiwa zeigt ihm jedoch die Unvollständigkeit auf, da nach der Geburt die Nabelschnur durchtrennt werden muss, ist auch hier der Einsatz des Menschen gefragt, um die Geburt vollständig abzuschließen. Die Beschneidung ist nicht natürlich, aber es überwiegt die Einhaltung der Pflicht, die uns G’tt auferlegt hat.

G’tt verlangt von uns, dass wir unseren Anteil mit einbringen und aktiv an der Gestaltung der Welt teilnehmen, auch wenn es für uns manchmal schwierig zu erklären ist. Zu dieser Einstellung können wir jedoch erst nach dem siebten Monat gelangen, nach Rosch Haschana und Jom Kippur. Wir haben uns dem Ewigen genähert, nun sind wir in der Lage, weitere Stufen zu erklimmen.

Aus: Allgemeine Jüdische Wochenzeitung – 09.10.2015